Frau Pop, direkt zu Ihrem Antritt als oberste Verbraucherschützerin haben Sie es mit einer hohen Inflation, steigenden Energiepreisen und Lieferengpässen zu tun. Brauchten Verbraucher eigentlich jemals mehr Schutz als derzeit?
Gerade in Krisenzeiten ist Verbraucherschutz kein Luxusthema. Verbraucherschutz ist das Gebot der Stunde. Unsere zentrale Aufgabe ist es, für Transparenz und klare Regeln zu streiten und dafür zu sorgen, dass Entlastungen für Verbraucherinnen und Verbraucher in der Krise schnell ankommen.
Gazprom reduziert die Gaslieferungen weiter. Der Gasversorger Uniper wird mit Milliarden gerettet, eine Umlage kommt auf die Menschen zu. Wie besorgt sind die Verbraucherinnen und Verbraucher?
Viele Menschen sind verzweifelt. Sie wissen nicht, was auf sie zukommt und ob sie ihre Energierechnung am Ende noch bezahlen können. Das sehen wir auch in einer Umfrage, die die Verbraucherzentrale in Auftrag gegeben hat: 76 Prozent der Befragten machen sich Sorgen wegen der finanziellen Belastung durch die Energiepreiskrise.
Was muss passieren, um die Sorgen zu nehmen?
Es braucht Klarheit für die Verbraucherinnen und Verbraucher. In der Öffentlichkeit schwirren viele unterschiedliche Zahlen herum, wie hoch die Gasumlage sein könnte. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach von bis zu 300 Euro, doch offenbar könnte es noch deutlich mehr sein. Umso wichtiger ist es, nun zügig ein Hilfspaket auf den Weg zu bringen, um den Menschen etwas Sicherheit zu geben und ihnen die Angst zu nehmen, dass sie am Ende die ganze Last tragen.
Wen sollte das Paket besonders berücksichtigen?
Insbesondere einkommensschwache Haushalte, Wohngeldempfangende, Rentnerinnen und Rentner und Studierende müssen durch das Entlastungspaket unterstützt werden. Sie leiden schon seit Monaten unter den hohen Preisen und viele stehen mit dem Rücken zur Wand. Am wichtigsten ist schnelles Handeln: Wenn die Gasumlage kommt, muss das Hilfspaket stehen. Die Regierung kann nicht noch monatelang streiten.
Die Bundesregierung will das Wohngeld reformieren, um zu entlasten. Wie hoch sollte eine ins Wohngeld integrierte Heizkostenpauschale sein?
Wir müssen davon ausgehen, dass uns die Preissteigerungen noch eine lange Zeit begleiten werden. Darum unterstützen wir die Forderung der Sozialverbände, eine dauerhafte Unterstützung in Form einer Heizkostenpauschale für Wohngeldempfangende zu schaffen. Die Hilfe sollte sich an der Preisentwicklung orientieren. Es muss aber jedem klar sein, dass die Gaspreise nicht mehr auf das Niveau der letzten Jahre fallen werden. Darum müssen wir Energie sparen. Das spart bares Geld.
Viele Menschen decken sich mit Heizlüftern ein, um zu sparen. Ist das nicht ein Trugschluss?
Absolut. Man spart mit Heizlüftern kein Geld, ganz im Gegenteil, man treibt die Stromrechnung in die Höhe. Hinzu kommt die Gefahr, dass die Stromverteilnetze überlastet werden, wenn massig Heizlüfter angeworfen werden.
Im vergangenen Jahr gab es mehr als 200.000 Stromsperren, mehr als 30.000 Gassperren. Sie plädieren ebenso wie die Verbraucherschutzministerin Lemke für ein Moratorium.
Ja, wie in der Corona-Krise muss jetzt wieder ein Moratorium für Energiesperren eingeführt werden, damit im Winter niemand friert oder im Dunkeln sitzt. Es ist gut, dass in der Bundesregierung darüber nachgedacht wird. Aber auch hier gilt: Das Moratorium muss jetzt zügig kommen und nicht erst Anfang nächsten Jahres.
Braucht es eine Konkretisierung der Gaspriorisierung?
Die Diskussion um eine Gaspriorisierung halte ich für brandgefährlich. Es gibt eine klare rechtliche Grundlage, wonach soziale Infrastruktur und Privathaushalte geschützt sind. Die Europäische Union sieht keinen Anpassungsbedarf. Wir dürfen Arbeitsplätze nicht gegen Wohnungen ausspielen, sondern brauchen Solidarität beim Thema Energiesparen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir dürfen nicht mit dem Finger aufeinander zeigen. Das haben die Verbraucher auch verstanden. Wie unsere Umfrage zeigt, sehen sie sich selbst (73 Prozent), Unternehmen (72 Prozent) und den öffentlichen Sektor (70 Prozent) zu fast gleichem Maße in der Verantwortung, den Energieverbrauch zu senken.
Die Verbraucherzentralen bieten auch Energieberatungen an. Wie werden die angenommen?
Unsere Energieberatungsangebote werden derzeit überrannt. Die Nachfrage ist deutlich gestiegen. Für dieses Jahr rechnen wir, wenn wir den bisherigen Verlauf sehen, im Vergleich zu 2021 mit 50 Prozent mehr Energieberatungen. Wir nutzen deshalb auch Formate wie Onlinewebinare und wollen das Angebot schnellstmöglich ausweiten. Dazu sind wir mit dem Bund im Gespräch.
Was benötigen Sie, um die Energieberatung breiter aufzustellen?
Natürlich geht es immer auch um finanzielle Unterstützung. Aber vor allem braucht es qualifiziertes Personal. Wir konnten dazu bereits zusätzliche Unterstützung gewinnen, zum Beispiel Schornsteinfeger.
Ein anderes Thema, das viele Menschen derzeit umtreibt, ist das Flugchaos. Es werden Flüge gestrichen oder sie sind heillos verspätet. Lässt sich die Lage für Reisende noch in den Griff kriegen?
Für dieses Jahr kann niemand eine verlässliche Prognose abgeben, schauen Sie sich mal das Chaos an. Zwar will die Bundesregierung ausländische Fachkräfte einsetzen, aber es deutet sich bereits an, dass die Bemühungen für diesen Sommer nicht mehr helfen.
Das hören Verbraucher sicher nicht gerne. Zudem bleiben viele auf den Ticketkosten sitzen. Was schlagen Sie vor?
Die Probleme sind hausgemacht, vor allem von den Airlines. Es kann nicht sein, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher das nun ausbaden und für Flüge im Voraus bezahlen, die am Ende gar nicht stattfinden. Damit geben sie den Airlines faktisch zinslose Kredite, damit diese wieder finanziell liquide sind. Und das gerade jetzt in einer Zeit, in der Verbraucher ihr Geld selbst dringend benötigen. Deswegen muss das Prinzip Vorkasse abgeschafft werden. Dieser Sommer hat wieder einmal gezeigt, dass die Luftfahrtbranche keinen Vertrauensvorschuss verdient hat.
Kommen wir zur Langlebigkeit von Produkten: Die EU will noch in diesem Jahr eine Richtlinie zum Recht auf Reparatur auf den Weg bringen. Wie kann gewährleistet werden, dass Menschen eher Dinge reparieren, statt neu zu kaufen?
Wir sehen bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern schon ein Umdenken. Sie wollen Produkte länger nutzen und auch reparieren, aber die Hersteller sind gefordert, haltbare und reparierfähige Produkte auf den Markt zu bringen. Wir brauchen verpflichtende Angaben, wie lange die Nutzungsdauer sein soll – und wie reparaturfähig Produkte sind. Das sollte nicht nur für Elektronikartikel, sondern auch für Kleidung und Haushaltsmöbel gelten.
Wie kann man dafür sorgen, dass die Hersteller nicht am Ende die Mehrkosten bei der Produktion auf die Verbraucher umlegen?
Es mag sein, dass langlebigere Produkte in der Anschaffung teurer sind, aber durch die längere Nutzungszeit werden die höheren Anschaffungskosten wieder reingeholt. Würden Produkte länger halten, könnten Verbraucher viel Geld sparen und übrigens auch CO₂.
In Thüringen gibt es einen Reparaturbonus. Wäre das ein Modell für ganz Deutschland?
Es gibt tolle Ansätze, die man für ganz Deutschland übernehmen sollte. Der Reparaturbonus ist so ein Beispiel. Wir sehen, dass in der Gesellschaft ein Umdenken stattfindet. Viele Menschen wollen nicht mehr ständig etwas Neues kaufen und das Alte wegwerfen. Die Politik sollte das unterstützen.
Das Interview erschien am 30. Juli 2022 beim Redaktionsnetzwerk Deutschland.