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Datum: 24.05.2022

„Rentner und Rentnerinnen bekommen von all dem nichts“

Interview mit Jutta Gurkmann, Vorständin des Verbraucherzentrale Bundesverbands, zur politisch notwendigen Reaktionen auf die Verbraucherkrise

Die Kosten für Energie sind auf einem Rekordniveau, vielen Menschen droht die Armut. Gleichzeitig bereichern sich viele Unternehmen, kritisiert Jutta Gurkmann, Vorständin des vzbv, im Interview.

Zu sehen ist Jutta Gurkmann an einem Schreibtisch sitzend im Gespräch.

Quelle: ALL Pictures (C) Holger Gross - vzbv

Frau Gurkmann, aktuell wird alles teurer. Die Ampel hat deswegen ein großes Entlastungspaket an den Start gebracht. Wird damit für Deutschlands Verbraucher alles gut?

Jutta Gurkmann: Schön wär's. Leider deuten die Prognosen aber nicht darauf hin, dass die Preise in absehbarer Zeit wieder sinken. Das heißt: Die Verbraucherkrise bleibt akut – und sie wird mit dem Entlastungspaket nicht vorbei sein. Wenn die Preise weiter steigen, muss die Regierung nachbessern.

Alle Maßnahmen der Ampel kosten geschätzt 15 Milliarden Euro. Warum reicht das nicht?

Das zweite Entlastungspaket geht in die richtige Richtung, lässt aber auch vieles aus. Klar, ein 9-Euro-Ticket ist ganz nett, aber es bringt mir wenig, wenn der Bus auf dem Land nur zweimal täglich fährt. Die 300 Euro Energiepreispauschale helfen nur bedingt, auch der Heizkostenzuschuss ist zu niedrig. Haushalte mit geringem Einkommen sollten mindestens 1.000 Euro bekommen, um die prognostizierten Kosten aufzufangen. Und Rentnerinnen und Rentner bekommen von all dem gar nichts.

Was sollte die Bundesregierung Ihrer Meinung nach noch tun?

Wir sprechen uns zusätzlich für ein Moratorium von Energiesperren für Strom- und Gaskunden aus. Denn wer seine steigenden Stromrechnungen nicht bezahlen kann, könnte bald im Dunkeln sitzen. Das darf nicht sein.

In der Corona-Krise haben die Deutschen viel gespart. Sind die Geldbeutel der Deutschen tatsächlich so leer, dass sie ihre Stromrechnungen nicht mehr bezahlen können?

Zum Teil ja. Viele Menschen hat schon die Corona-Krise hart getroffen. In der aktuellen Krise gibt es immer mehr Menschen, die nirgends mehr sparen können – und die Energiepreise steigen trotzdem weiter. Wo das Geld früher gerade so bis zum Ende des Monats gereicht hat, wird es nun bereits ab der Monatsmitte eng. Das zeigen auch die langen Schlangen, die sich bei den Tafeln bilden. Da sind viele Menschen dabei, die nie damit gerechnet hätten, einmal auf diese Unterstützung angewiesen zu sein.

Unter ihnen sind immer öfter auch ältere Menschen.

Richtig. Viele Rentner leiden besonders unter den aktuellen Preissprüngen. Von der Energiepreispauschale spüren sie nichts, weil diese nur an Arbeitnehmer gezahlt wird. Rentner brauchen deshalb schnell Sonderentlastungen. Doch auch für jüngere Menschen ist die aktuelle Inflation ein Problem. Wer kann denn jetzt noch Geld fürs Alter zurücklegen? Wir müssen aufpassen, dass wir in der aktuellen Krise nicht den Grundstein für die nächste legen: die Altersarmut künftiger Generationen.

Es gibt verschiedene Forderungen, wie ärmeren Menschen geholfen werden könnte. Mieterbund-Präsident Lukas Siebenkotten etwa forderte unlängst einen Rechtsanspruch auf einen staatlichen Zuschuss. Dieser solle Menschen zugutekommen, deren Einkommen im Vergleich zur Warmmiete zu niedrig ist. Was halten Sie davon?

Wir müssen aufpassen, dass die Instrumente nicht zu kompliziert werden. Aber es ist wichtig, dass wir jetzt Lösungen für den Herbst finden – auch wenn bei den aktuellen Temperaturen keiner ans Heizen denkt. Wir setzen dabei aber vor allem auf Förderungen für energieeffiziente Gebäudesanierungen. Mieter müssen bei der Umlage der Sanierungskosten entlastet werden.

Die EU ringt um ein Ölembargo, Experten gehen davon aus, dass auf kurz oder lang auch Bremser wie Ungarn oder die Slowakei diesem Schritt zustimmen werden. Sollte ich mit Blick auf den Herbst also jetzt schon mal die Tankkanister fürs Auto füllen?

Niemand kann seriös vorhersagen, wie sich die Preise von Heizöl, Benzin und Diesel weiterentwickeln. Dennoch müssen wir mit weiter steigenden Energiepreisen zumindest rechnen. Darum ist es wichtig, bereits jetzt Energie zu sparen. Hamsterkäufe treiben die Preise dagegen nur unnötig zusätzlich in die Höhe.

Ihr Vorgänger Klaus Müller, der heute die Bundesnetzagentur leitet, kritisiert, dass die Deutschen die Krise noch nicht ernst genug nähmen und zu wenig Energie sparten. Muss die Regierung den Deutschen die Krise stärker vor Augen führen?

Viele Verbraucher sind sich der Lage durchaus bewusst und wollen Energie sparen. Wir erleben geradezu einen Ansturm auf unsere Beratungsangebote. Wir würden auch eine nationale Aufklärungskampagne der Bundesregierung zum Energiesparen unterstützen.

Wie erfolgreich kann die sein? Sind wir nach fast drei Jahren Pandemie und Einschränkungen nicht einfach krisenmüde?

Der Erfolg der Kampagne hängt ganz davon ab, wen sie anspricht. Für uns ist klar: Beim Energiesparen sind alle gefordert. Industrie, Dienstleistung, Handel, Gewerbe, der öffentliche Sektor – und natürlich auch die privaten Haushalte. Wir stehen vor einer riesigen Herausforderung, die wir alle zusammen meistern müssen. Stattdessen bleibt aber bei vielen Verbrauchern das ungute Gefühl, dass manche Unternehmen jetzt unter dem Deckmantel der Inflation und des Kriegs gegen die Ukraine den großen Reibach machen.

Können Sie belegen, dass manches Unternehmen die Inflation ausnutzt?

Das zu belegen ist nicht unsere Aufgabe. Wenn es aber Indizien dafür gibt – Rekordgewinne zum Beispiel -, muss die Regierung dem nachgehen. Damit hat sie das Bundeskartellamt beauftragt. Denn es kann ja nicht sein, dass die Verbraucher mit immer mehr Kosten belastet werden, während sich Konzerne eine goldene Nase verdienen.

Sollten Unternehmen, die in der Krise größere Gewinne machen als sonst also mehr Steuern bezahlen, so wie es die Grünen fordern?

Die Bundesregierung sollte Wege finden, unrechtmäßige Gewinne zu verhindern oder zurückzuholen. Es dürfen nicht nur die Verbraucherinnen und Verbraucher zur Verantwortung gezogen werden. Klar, auch sie müssen ihren Anteil leisten, aber doch nicht allein.

Im Notfallplan Gas sind die Verbraucher jedenfalls besonders gut geschützt.

Ja, die Regelungen auf EU-Ebene und in Deutschland sehen für Verbraucher einen besonderen Schutz vor. Wir erwarten, dass dies im Ernstfall auch so umgesetzt wird. Gleichzeitig gibt es aber Stimmen aus der Wirtschaft, die Änderungen fordern, frei nach dem Motto: Industrie zuerst, danach irgendwann die Verbraucher – wenn noch etwas übrig bleibt.

Aber ist das mit Blick auf drohende Arbeitslosigkeit nicht auch verständlich?

Die Firmen sagen immer nur, wo sie nicht sparen können. Dabei müssen alle schauen, wo es Sparpotenzial gibt.

Sie finden also, dass die Unternehmen ihre Büros nicht beheizen sollten?

Noch mal: Alle sollten schauen, wo sie Einsparpotenziale haben. Es gibt nicht den einen Schalter, mit dem man seinen Energieverbrauch halbieren kann. Es gibt nur viele kleine Rädchen: Durchs Homeoffice zum Beispiel entfallen gewaltige Pendelstrecken. Und wer das Thermostat um eine Stufe herunterstellt, spart bis zu 20 Prozent der Heizenergie.

Das ließe sich auch zu Hause machen, würde mancher Firmenchef einwenden.

Klar, das sagen wir den Verbraucherinnen und Verbrauchern in der Beratung auch immer. Es kann aber niemand erwarten, dass die Leute mit zwei Pullis übereinander in der Wohnung sitzen und gegenüber leuchten die Schaufenster und Reklametafeln die ganze Nacht hindurch. Da kann man doch nicht allen Ernstes noch auf Verständnis und Akzeptanz hoffen.

Ist der Energieverbrauch also bald das Maß aller Dinge? Müssen dann verbrauchsintensive Geschäfte wie Schwimmbäder, Saunahäuser oder Fitnessstudios schließen?

Die Lage ist ernst. Wir müssen alles auf den Prüfstand stellen und schauen: Wo können wir einfach und effektiv Energie einsparen, um gut durch den nächsten Winter zu kommen? Und die Bundesregierung muss Tempo machen beim Ausbau der Erneuerbaren und die Verbraucherinnen und Verbraucher dabei viel stärker einbinden. Eine verbrauchernahe Energiewende ist eine schlafende Riesin. Zeit, sie zu wecken.

Dieses Interview ist zuerst bei t-online.de erschienen.

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