Datum: 25.08.2021

Müssen Fleisch, Strom und Mallorca-Flug teurer werden?

Interview mit vzbv-Vorstand Klaus Müller im „stern"

Was darf der Klimaschutz den kleinen Verbraucher kosten? Und wie können höhere Preise sozial fair ausgeglichen werden? Klaus Müller, Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands, spricht über Grillwurst, Autofahren und die Klimapläne der Parteien.

Portrait vzbv Vorstand Klaus-Müller, Copyright: Corinna Guthknecht

Quelle: Corinna Guthknecht - vzbv

Herr Müller, Deutschland muss klimaneutral werden und die meisten Menschen finden das richtig. Aber viele wollen eben auch gerne weiter Grillwurst essen, günstig tanken und mit dem Flugzeug nach Mallorca fliegen. Kann Deutschland seine Klimaschutzziele erreichen, ohne dass wir als Verbraucher ordentlich draufzahlen müssen?
Bevor wir uns jetzt über teurer werdende Schnitzel oder nicht mehr ganz so billiges Benzin aufregen, sollten wir uns das große Ganze noch mal vor Augen halten: Wenn wir unsere Treibhausgasemissionen nicht schnell und drastisch reduzieren, werden große Teile unseres Planeten für Menschen nicht mehr bewohnbar sein und unsere Kinder und Enkelkinder Kriege über Wasser und Nahrung führen. Energie, Lebensmittel oder Mobilität, die C02-intensiv sind, werden deshalb teurer werden. Die entscheidende Frage ist nun: Was passiert mit diesem Geld? Wir fordern zum Beispiel, dass die Einnahmen aus der C02-Bepreisung vollständig an die Verbraucherinnen und Verbraucher zurückerstattet werden. Das ist fair und gibt einen Anreiz, sich klimaverträglicher zu verhalten. Wer wenig C02-Ausstoß verursacht, profitiert. Wer weiter stark auf fossile Energien setzt, viel fliegt oder SUV fährt, zahlt drauf.

Fangen wir mal im Supermarkt an: Die Nutztierhaltung verursacht riesige Mengen C02. Müssen tierische Produkte teurer werden oder muss sich jeder Verbraucher auch künftig sein Stück Fleisch leisten können?
Die Zukunftskommission Landwirtschaft der Bundesregierung hat es in ihrem Abschlussbericht vor wenigen Wochen klar geschrieben: Der heutige Preis von Fleisch, Milch oder Eiern bildet einfach nicht die wahren Kosten ab. Das gilt einmal aus Gründen des Tierschutzes, aber natürlich ganz genauso mit Blick auf die C02-Belastung. Ich esse auch gerne ab und zu mal ein Stück Fleisch. Aber der billige Preis an der Fleischtheke ist
eine Irreführung der Verbraucherinnen und Verbraucher, weil wir den Preis in Form von Klimaschäden und Tierleid bezahlen. Deshalb wird Fleisch teurer werden.

Das heißt, die einen gönnen sich weiter Biofleisch und die mit schmalerem Geldbeutel müssen verzichten?
Der höhere Preis muss zum einen in eine andere Tierhaltung gehen, zum anderen muss das Geld wieder zurückfließen an die Verbraucher in Form von Entlastungen bei anderen Produkten. Wenn das Kilo Fleisch teurer wird, sollten gleichzeitig Obst und Gemüse und Hülsenfrüchte günstiger werden. Haushalte, die sich umstellen, kommen dann gut weg. Wer genauso viel Fleisch konsumieren möchte wie in der Vergangenheit, muss für bessere Qualität mehr zahlen.

Oft kann der Kunde im Laden gar nicht erkennen, welches Produkt ökologischer ist, weil ein Dschungel an Siegeln, Labeln und fragwürdigen Werbeversprechen vorherrscht. Was muss sich hier ändern?
Hier gibt es ein klares Marktversagen. Der Markt allein bietet nicht die Informationen, die mir tatsächlich sagen, ob die Dinge, die ich kaufe, klimagerecht und nachhaltig sind. Deshalb ist eine leicht verständliche, verbindliche und einheitliche Kennzeichnung nötig. Zum Beispiel in der Obstabteilung. Da kann ich Bio kaufen oder Nicht-Bio. Ob aber das Obst mit dem Flugzeug transportiert wurde und eine schlimme Klimabilanz hat, steht nicht drauf.

Was ist die Lösung - ein Klimalabel von A+++ bis D wie bei Haushaltsgeräten? Nachhaltigkeit lässt sich nicht alleine durch neue Label erreichen. Die Produktionsbedingungen müssen sich grundlegend verändern und an die Klima- und Nachhaltigkeitsziele anpassen. Dafür braucht es geeignete politische Rahmenbedingungen. Gleichzeitig wünscht sich die Mehrheit der Verbraucher mehr Informationen darüber, wie nachhaltig die Produkte sind, die sie kaufen. Eine Nachhaltigkeitskennzeichnung, die verständlich und verbindlich ist und kontrolliert wird, könnte hier eine Orientierungshilfe leisten.

Raus aus dem Supermarkt, rein in die Wohnung. Bei den Energiekosten sind die höheren Preise für Privathaushalte schon da. Strom ist teuer wie nie. Und den neu eingeführten C02-Preis beim Heizen müssen - Stand jetzt - die Mieter bezahlen, weil sich die CDU gegen eine Vermieterbeteiligung gesperrt hat. Ist das fair?
Nein, weil beide Seiten für die Kosten verantwortlich sind. Der Mieter muss sich überlegen, wann er die Heizung wie stark aufdreht und wie er nicht unnötig zum Fenster rausheizt. Aber ob mit erneuerbaren Energien oder weiter mit Heizöl und Erdgas geheizt wird, das entscheidet der Hauseigentümer. Er profitiert auch vom Wertzuwachs der Immobilie, wenn er sie energetisch saniert, wofür es ja aus guten Gründen viele steuerliche Zuschüsse gibt. Die zusätzliche C02-Bepreisung fürs Heizen mit Öl und Gas zur Hälfte von Mietern und Vermietern tragen zu lassen, wäre daher ein faires Konzept. Das muss nach der Bundestagswahl fair entschieden werden.

Was ist mit den steigenden Strompreisen: Wie bleibt der Strom für ärmere Haushalte bezahlbar?
Der Strompreis ist zu hoch und muss gesenkt werden. Da gibt es ganz konkret drei Dinge, die die Bundesregierung tun muss. Das erste ist die Abschaffung oder Reduzierung der milliardenschweren Strompreisprivilegien der Industrie. Für jedes energieintensive Unternehmen, das Ausnahmen von Umlagen und Abgaben erhält, müssen alle anderen Stromkunden derzeit zusätzlich zahlen. Das treibt die Strompreise für private Haushalte, aber auch für Handel und Handwerk nach oben. Die zweite Maßnahme betrifft die Senkung der Stromsteuer für alle. Dadurch könnte der Strompreis um etwa vier Cent pro Kilowattstunde sinken. Geringverdiener würden zudem dadurch überdurchschnittlich entlastet.

Und drittens?
Ich bin ein großer Freund der Bürgerenergie. Solaranlagen sind in der Anschaffung
sehr preiswert geworden. Deswegen sollten nicht nur Eigenheimbesitzer, sondern auch Mieterinnen und Mieter die Möglichkeit bekommen, von günstigem Solarstrom aus einer Anlage auf dem Dach, der Fassade oder dem Balkon günstig zu profitieren. Mieterstromtarife können dazu beitragen, dass der Strompreis auch für Menschen mit geringem Einkommen sinkt. Leider hat es die Bundesregierung bisher nicht geschafft, bürokratische und steuerliche Hürden wegzuräumen, so dass es sich für viele Menschen nicht lohnt.

Wie erleben Sie den Bundestagswahlkampf in der Klimafrage? Man hat den Eindruck, dass sich zwar alle Parteien zu den Klimaschutzzielen bekennen, aber sich scheuen, konkrete Maßnahmen zu nennen, die die Bürger belasten. Ist das nicht sehr unehrlich gegenüber den Wählern?
Dass der Klimaschutz in den Wahlprogrammen aller Parteien, die AfD mal außen
vor, prominent drinsteht, ist zwar ein Fortschritt. Aber man muss auch die Rezepte klar benennen und den Menschen sagen, welche Vor- und Nachteile ihnen daraus entstehen können. Ich glaube, es ist unklug für jeden Politiker, der nach der Bundestagswahl in der Situation landen wird zu handeln, vorher keine klaren Ansagen zu machen, was auf die Bürger zukommt. Gut gemachter Klimaschutz ist auch eine Chance, wird unsere Städte lebenswerter, unsere Luft sauberer und unsere Gesellschaft gerechter machen.

Die Realität aber ist: Wann immer ein Politiker oder eine Politikerin eine Ansage macht wie "Benzin muss ein paar Cent teurer werden", bekommt er oder sie das um die Ohren gehauen und verliert in den Umfragen.
Die Umwelt lässt aber nicht mit sich handeln, wie man bei den Starkregenereignissen in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und auch Sachsen und Bayern gesehen hat. Die Politik wird in den nächsten Jahren einen viel engagierteren Klimaschutz betreiben müssen, und ich will jede Partei ermutigen, klar zu benennen, mit welchen Instrumenten sie das lösen möchte. Sonst tappt sie später in die Glaubwürdigkeitsfalle. Ich ziehe da eine Parallele zur Bundestagswahl 2002. Damals hat sich Gerhard Schröder im Wahlkampf kein Mandat für das geholt, was nachher als Hartz-4-Reformen bekannt wurde. Obwohl er das Problem der Massenarbeitslosigkeit mit den Reformen gelöst hat, hat sich die SPD davon nie richtig erholt.

Ausgerechnet der aussichtsreichste Kanzlerkandidat, Armin Laschet, zieht mit einem Programm in den Wahlkampf, das von vielen als äußerst schwammig angesehen wird. In welchen Wahlprogrammen sehen Sie die überzeugendsten Antworten, wie Klimaschutz und sozialer Ausgleich zusammenkommen?
Ich sage es mal so rum: In den Wahlprogrammen von Grünen und FDP sehe ich sehr klare Versprechen, wie die Mehreinnahmen aus der C02-Bepreisung, die ja das zentrale Instrument für mehr Klimaschutz ist, sozial ausgewogen an die Bürger zurückgegeben werden sollen. Die SPD möchte einen solchen Pro-Kopf-Bonus zumindest prüfen. Alle drei Parteien haben dafür unterschiedliche Namen - von Energiegeld bis Klimadividende, die aber das Gleiche meinen. Das finde ich prinzipiell gut.

Und bei der CDU?
Da fehlt ein konkreter Plan, wie die Einnahmen aus dem C02-Preis den Bürgern langfristig zugutekommen sollen. Mal abgesehen von der angekündigten Abschaffung der EEG­Umlage, was immerhin den Strom günstiger machen würde.

Sensibel ist für viele Verbraucher auch das Thema Autofahren. langfristig muss da der Verbrenner dem E-Auto weichen. Aber ist es fair, dass Menschen, die viel Geld für ein Auto ausgeben können, vom Staat noch mehr Geld dazu bekommen, damit es ein E­Auto wird - während andere sich nicht mehr als ihre alte Möhre leisten können?
Die E-Auto-Kaufförderung, die in Teilen von den Autoherstellern als auch aus den Erlösen der C02-Zertifikate finanziert wird, wird dazu führen, dass die Anschaffungskosten eines Stromers vergleichbar mit Verbrennern werden. Und im Betrieb hat das E-Auto noch weitere Vorteile. Es fallen weniger Reparatur- und Wartungskosten an. Die Entscheidung für ein Elektroauto ist ein wichtiger Beitrag zu einer klimagerechten Mobilität. Für große Teile
der Bevölkerung ist die Anschaffung eines neuen E-Auto derzeit aber trotz der Subventionen noch zu teuer. Daher ist es natürlich immens wichtig, auch den ÖPNV zu stärken. Das bedeutet nicht nur mehr Buslinien und mehr Straßenbahnen, sondern auch Mobilität on demand, zum Beispiel Shuttlebus-Angebote, die Fahrten teilen und Fahrgäste sammeln, wie es sie schon in Hamburg mit Moia oder in Berlin mit dem Berlkönig gibt.

Also weniger individuell fahren - und möglichst gar nicht mehr fliegen? Muss sich eine normale Familie einmal im Jahr den Mallorca-Urlaub leisten können?
Dass der regelmäßige Urlaub auf Mallorca oder den Kanaren selbstverständlich ist, ist ja
ein relativ neues Phänomen. Noch für meine Eltern-Generation war das nicht vorstellbar und ich kenne nach wie vor viele Menschen, die sich das nicht leisten können oder wollen. Insofern wäre meine Antwort darauf: Wenn die Politik beim Flugverkehr ehrliche Preise einführt, muss eben ein Bahn-Urlaub an Nord- und Ostsee oder in die Alpen analog günstiger werden. Und auch in Brandenburg oder Hessen kann man schön Urlaub machen. Wichtig ist, dass höhere Flugpreise wirklich dem Klimaschutz dienen und nicht bei den Unternehmen hängen bleiben. Gleichzeitig müssen die Reisenden für steigende Preise eine hohe Qualität an Zuverlässigkeit erwarten können. Das Schutzniveau der Fluggastrechte darf deshalb nicht auf Drängen der Unternehmen abgesenkt werden.

Wenn Sie das Projekt Klimaneutralität 2045 als Ganzes betrachten: Werden wir uns da in den kommenden Jahren in einem permanenten gesellschaftlichen Kampf befinden, wer sich noch was leisten kann? Und kann das ohne soziale Unruhe gelingen?
Ich bin ein optimistischer Mensch, daher gehe ich davon aus, dass das mit zielgerichteten Maßnahmen zur sozialen Kompensation ohne Verwerfungen gelingen kann. Außerdem spart die Gesellschaft mittel- und langfristig hohe Ausgaben für Gesundheits- und Umweltmaßnahmen ein. Aber Veränderung ist natürlich anstrengend und provoziert bei einigen auch Widerstand. Das gilt für Unternehmen, die an bestimmten Produktionsmethoden festhalten wollen. Das gilt natürlich auch für Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich an einen bestimmten Lebensstil gewöhnt haben. Dabei geht es nicht um Verzicht, sondern um einen anderen Konsum mit Mehrwert geht. Das Bundesverfassungsgericht hat ja klar gesagt, dass wir uns mehr anstrengen müssen, um die Freiheit der künftigen Generation zu bewahren. Deswegen muss man den Menschen reinen Wein einschenken und kann nicht so tun, als ob wir genauso weiterleben können wie bisher. Wir alle müssen bereit sein umzudenken, und der Kraftakt für deutlich mehr Klimaschutz und den Erhalt unserer Lebensgrundlagen kann nur gemeinsam gelingen.

Das Interview erschien am 10. August 2021 im Rahmen der stern-Serie Neustart Deutschland.

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