Datum: 20.05.2021

„Europa kann noch mehr“

Interview mit Klaus Müller zur Wahl zum BEUC-Präsidenten am 20. Mai 2021

Europa hat das Leben der Verbraucherinnen und Verbraucher besser gemacht. Aber es gibt noch große Baustellen wie verwirrende Lebensmittelkennzeichnungen, die Macht der Digitalkonzerne oder Regeln für Künstliche Intelligenz. Das sagt der neue Präsident des europäischen Verbraucherschutzverbandes BEUC, Klaus Müller. Ein Interview.

Vorstand Verbraucherzentrale Bundesverband | Credit: Corinna Guthknecht - vzbv

Quelle: Corinna Guthknecht - vzbv

Herzlichen Glückwunsch zur Wahl zum BEUC-Präsidenten. Welche Rolle spielt die Europäische Union (EU) aus Ihrer Sicht für den Verbraucherschutz und welche Themen wollen Sie in Ihrem neuen Amt vorantreiben?

Klaus Müller: Ohne die EU wäre der Verbraucheralltag zwischen Lissabon und Tallin teurer, unsicherer und komplizierter. Die EU hat die Roaming-Gebühren abgeschafft und damit das Telefonieren preiswerter gemacht. Dank der EU haben Verbraucher das Recht, Strom selbst erzeugen zu dürfen. Und die europäische Einlagensicherung hat Spareinlagen auf Giro- oder Tagesgeldkonten sicherer gemacht. Um nur drei Beispiele zu nennen.

Die Vielfalt der Mitgliedsstaaten und ihr ständiger Austausch mit den Abgeordneten des Europäischen Parlaments sind für die Gesetzgebung der EU von unschätzbarem Wert. Die EU wird durch die unterschiedlichen Erfahrungen ihrer Mitgliedstaaten befähigt, Vorreiter bei der Bewältigung großer Herausforderungen zu sein. So hat sich etwa Frankreich gegen den Druck aus der Wirtschaft durchgesetzt und das wissenschaftlich fundierte Lebensmittelkennzeichnungssystem „Nutri-Score“ etabliert und auf seine Auswirkungen auf Verbraucher hin untersucht. Davon können auch wir in Deutschland und der ganzen EU profitieren.

Ich erwarte von der EU nun, dass sie den Nutri-Score EU-weit verpflichtend einführt. Aber es gibt weitere Baustellen.

Welche wären das?

Schadstoffe sind ein Problem. Es gibt Mineralöl in Schokolade, Formaldehyd in Kaffeebechern, Autos pusten Lärm und Abgase in die Luft. Gegen all das sollte Europa etwas unternehmen. Schadstoffe in Lebensmittelverpackungen gehören verboten. Schärfere Abgasnormen sind eine Frage des politischen Willens.

Eine nachhaltigere Alternative zum Auto ist die Bahn. Tut die EU genug, um den Bahnverkehr zu fördern?

Die zuletzt beschlossene Schwächung von europäischen Bahnkundenrechten war leider nicht hilfreich. Wer den Verkehr auf die Schiene lenken will, muss aber auch den Himmel im Blick haben. Eine einheitliche Kerosinsteuer für innereuropäische Flüge ist überfällig.

Ein weiterer grundlegender Transformationsprozess ist die Digitalisierung. Was kann die EU hier verbessern?

Google, Amazon, Alibaba und andere große Digitalkonzerne haben eine unglaubliche Marktmacht angehäuft. Corona hat diese Entwicklung nochmal beschleunigt. Über diese Online-Marktplätze werden europäische Verbraucher mit Händlern und Produkten aus aller Welt in Kontakt gebracht. Das bedeutet eine große Warenvielfalt, aber nicht immer klappt das reibungslos. Die Marktmacht dieser Unternehmen bringt es mit sich, dass sie im Zuge der Digitalisierung des Einkaufsverhaltens auch mehr Verantwortung übernehmen müssten. Das Gute ist: Wenn die Europäische Union will, kann sie auch diese Digitalgiganten an hier geltendes Recht binden. Das gilt für die Transparenz von Plattformen, aber auch für Probleme bei der Durchführung von Verträgen, die über sie geschlossen werden. Die EU muss die Online-Marktplätze hier mehr in die Pflicht nehmen.

Auch im Bereich der algorithmusbasierten Entscheidungssysteme und der künstlichen Intelligenz (KI) wird die EU eine wichtige Rolle spielen. So ist sie doch die erste Region der Welt, die sich anschickt, die Auswirkungen dieser Technologien zu regulieren. Aufgrund der Intransparenz der KI-Systeme ist selbst für Experten kaum nachzuvollziehen, ob sie Fehlentscheidungen treffen oder gegen Gesetze verstoßen, etwa hinsichtlich des Diskriminierungsverbots oder der Beeinflussung und Irreführung von Verbrauchern. Der vzbv fordert daher beispielsweise, dass wichtige KI-Entscheidungen für Verbraucher nachvollziehbar gemacht werden. Experten und Behörden müssen außerdem kontrollieren können, ob kritische KI-Systeme rechtskonform sind. Für solche digitalisierten Geschäftsprozesse sind nationale Regeln kaum noch sinnvoll.

In Deutschland wünscht sich eine Mehrheit der Verbraucher, nachhaltig zu konsumieren. Mit dem European Green Deal hat die Europäische Kommission 2019 eine Steilvorlage für mehr Nachhaltigkeit in allen Lebensbereichen der Verbraucher geliefert. Der vzbv hat den nachhaltigen Konsum schon lange in seiner Satzung verankert. Ist damit nun alles gut, Problem gelöst?

Nein, natürlich nicht. Nachhaltigkeit darf nicht nur in Sonntagsreden auftauchen. CO2-Einsparziele zu verkünden und das Treibhausgas zu besteuern reicht nicht. Der Green Deal muss die Kosten für die Nachhaltigkeit gerecht aufteilen. Ein Abwälzen der Kosten auf die Allgemeinheit wäre unfair und kontraproduktiv. Der Erhalt unserer Lebensgrundlagen ist die Aufgabe unseres Jahrhunderts. Das wird nur gelingen, wenn wir die breite Bevölkerung mitnehmen.

Richtig ist, dass der EU Green Deal von Verbrauchern einen grundlegenden Wandel ihres Konsum- und Abfallverhaltens verlangt. Nachhaltigkeit beginnt aber bei der Produktion. Nur dann haben Verbraucher die Möglichkeit, nachhaltiger zu konsumieren und aus nachhaltigen Produkten auszuwählen. Dabei muss die soziale Dimension immer mitgedacht werden. Der Ansatz, dass die Verbraucher die Welt mit dem Einkaufskorb retten können, ist entweder naiv oder die Strategie derer, die am gegenwärtigen System nichts ändern wollen. Die Politik muss die Vorgaben machen. Mit einer Green-Claims-Verordnung, die Werbeaussagen zur Nachhaltigkeit reguliert und unseren Kampf gegen Greenwashing erleichtert, könnte sie anfangen.

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