In den Beratungen der Verbraucherzentralen herrsche wahre Verzweiflung, sagt Ramona Pop. Energieunternehmen arbeiteten mit einer "Salami-Taktik".
Die Folgen von Putins Krieg gegen die Ukraine treffen auch deutsche Bürger hart. Wer nicht mehr weiter weiß, besucht oft die Energieberatungen der Verbraucherzentralen. Ein Gespräch mit Ramona Pop, die seit Anfang Juli Vorständin des Bundesverbands ist, über Angst, Abzocken und Fehler der Bundesregierung.
Frau Pop, wie sparen Sie zurzeit Energie?
Wir kochen und backen mit Gas, müssen also auch mit deutlichen Mehrkosten rechnen. Wie viele andere schauen wir, wo wir sparen können. Als Mieterin kann ich baulich nichts an meiner Wohnung verändern. Aber ich dusche kürzer, nicht so warm und spüle nicht bei laufendem Wasser. Das Backen lassen wir jetzt ganz sein.
Die Energieberatungen der Verbraucherzentralen sind für Ratsuchende Anlaufstelle Nummer 1. Wer besucht sie?
Wir erleben einen Querschnitt der Gesellschaft in unserer Beratung. Anders als früher fragen viele nicht mehr einfach nur nach Energiespartipps, sondern auch, wie sie das alles bezahlen sollen. Die Zahl der Beschwerden in den Verbraucherzentralen zum Thema Gas hat sich im ersten Halbjahr 2022 im Vergleich zum ersten Halbjahr 2021 versiebenfacht.
Wie sehr sind die Menschen in Not?
Die Verbraucherzentralen berichten von Existenzängsten und wahrer Verzweiflung. Was die Menschen am meisten umtreibt, ist die Frage: Was kommt noch auf uns zu? An dieser Stelle ist die Kommunikation der Bundesregierung deutlich verbesserungswürdig.
Warum?
Nehmen wir zum Beispiel die von der Bundesregierung geplante Gasumlage. Es herrscht Unklarheit darüber, wie hoch sie genau sein wird und ob die Mehrwertsteuer noch obendrauf kommt. Das verunsichert die Menschen enorm. Hinzu kommt, dass viele Entlastungsmaßnahmen wie das 9-Euro-Ticket jetzt auslaufen und es zugleich weitere Preiserhöhungen gibt. Da reicht es nicht, wenn der Bundeskanzler vage von einem Hilfspaket im nächsten Jahr spricht. Das passt nicht zusammen.
Was müsste die Bundesregierung denn kommunizieren?
Die Bundesregierung muss die Menschen darauf vorbereiten, dass es einen harten Herbst und Winter mit einem Verlust an Komfort geben wird. Man kann ja nicht Energie sparen und erwarten, dass die Wohnung dennoch genauso kuschelig warm ist wie immer. Das müsste die Bundesregierung ehrlicherweise auch so sagen.
Zuständig für die Gasumlage ist Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der wie Sie den Grünen angehört. Erwarten Sie von ihm auch bessere Kommunikation?
In einer solchen Krise ist die gesamte Bundesregierung gefragt. Es muss jetzt ein Signal der Geschlossenheit geben. Stattdessen wird darüber gestritten, wer etwas bekommen soll und wer nicht. Das ist fatal in dieser Krise.
Was muss sich ändern?
Die Bundesregierung muss zeitgleich mit der Gasumlage ein Hilfspaket für besonders belastete Haushalte aufstellen. Es muss außerdem das klare Signal geben: Auch die Energieimport- und Versorgungsunternehmen müssen sich anstrengen und ihren Teil leisten.
Wie könnte das aussehen?
Sinnvoll wäre es, wenn die Unternehmen nicht wie bisher geplant 90 Prozent der Mehrkosten weitergeben können, sondern einen größeren eigenen Beitrag leisten. Und es darf auf die Umlage nicht auch noch Mehrwertsteuer anfallen. Es kann nicht sein, dass der Staat an der Umlage verdient.
Das ist aber durchaus geplant.
Die Ampelkoalition berät aktuell über die Umsetzung der Umlage und muss hierfür dringend eine Lösung finden. Sie muss sicherstellen, dass die Mehrwertsteuer gar nicht erhoben oder den Bürgern und Bürgerinnen zurückerstattet wird, über ein Hilfspaket oder auf anderem Weg.
Andere Länder nehmen Unternehmen in dieser Krise wesentlich härter in die Pflicht – zum Beispiel über eine Übergewinnsteuer. Auch UN-Generalsekretär António Guterres hat gerade alle Regierungen der Welt aufgefordert, den Profit von Energiekonzernen zu besteuern, um die Schwachen zu entlasten.
Angesichts der drastischen Preissteigerungen für Verbraucher wirken die Meldungen über Milliardengewinne nur noch zynisch. Die Bundesregierung muss die richtigen Instrumente finden, damit auch Unternehmen ihren Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten. Für uns als Verbraucherschützer ist entscheidend, dass die Umlage nicht zur Finanzierung von Gewinnen oder Bonuszahlungen verwendet wird.
Was können die Menschen im Alltag tun, um Energie zu sparen?
Ganz konkret: Man kann Spar-Duschköpfe kaufen, die den Wasserdurchlauf um die Hälfte verringern. Ansonsten sollte man prüfen, welche Elektrogeräte man runterregeln kann. Der Kühlschrank kühlt meist schon auf Stufe 1 gut. Es muss nicht kälter als 7 Grad werden. Und zur Vorbereitung für den Winter ist es gut, alle Türen und Fenster abzudichten und hinter den Heizungen wärmeabstrahlende Folie zu installieren, die die Wärme in den Raum zurückwirft.
Viele Menschen schaffen sich jetzt Heizlüfter an. Ist das sinnvoll?
Leider nein. Denn was viele nicht wissen: Der Strompreis ist an den Gaspreis gekoppelt, und Heizlüfter verbrauchen sehr viel Strom. Wenn man in jedem Raum einen Lüfter installiert, wird es richtig teuer. Und wenn dann alle zur selben Zeit die Heizlüfter anwerfen, könnte eine Überlastung der Stromnetze drohen.
Wie verhalten sich die Energieunternehmen derzeit?
Wir beobachten derzeit, dass einige Versorgungsunternehmen Preiserhöhungen so in ihren Briefen verstecken, dass man sie leicht überlesen kann. Teilweise werden kurz hintereinander die Preise erhöht, sodass die Verbraucher den Überblick verlieren – aus unserer Sicht eine Salami-Taktik. Es wird auch nicht immer transparent aufgeschlüsselt, wie der Preis zustande kommt. Das sind schmutzige Tricks. Ich kann Betroffenen nur raten, sich bei den Verbraucherzentralen zu melden. Das hilft uns, konsequent mit Abmahnungen gegen solche schwarzen Schafe auf dem Energiemarkt vorzugehen.
Mit den ersten hohen Rechnungen wird es auch die ersten geben, die sie nicht zahlen können. Sie pochen wie Sozialverbände auf ein Moratorium für Stromsperren, niemandem solle der Strom abgeschaltet werden. Bisher denkt man in der Bundesregierung darüber noch nach.
Das Moratorium für Strom-, Gas- und Fernwärmesperren, aber auch für Wohnungskündigungen muss kommen – und zwar in den nächsten Wochen. Es macht keinen Sinn, es nach dem Winter einzuführen. Niemand sollte frieren und im Dunkeln sitzen müssen, weil er die Abschläge nicht mehr bezahlen kann.
Zum 1. September soll es für alle Angestellten mit festem Arbeitsverhältnis die Energiepreispauschale (EPP) in Höhe von 300 Euro geben. Reicht das?
Diese einmalige Zahlung wurde zu einem Zeitpunkt beschlossen, als das ganze Ausmaß der Krise noch nicht absehbar war. Sie ist eine einmalige Hilfe, aber keine dauerhafte Lösung. Zumal sie für die, für die es wirklich eng wird, ja gar nicht vorgesehen ist – Wohngeldempfänger, Studierende, Rentner und Rentnerinnen.
Noch sind in vielen Bundesländern Sommerferien. Auf den Flughäfen herrscht weiterhin Chaos. Viele Flugreisen werden kurzfristig wieder gecancelt, aber es wird kein adäquater Ersatz geboten, die Kosten werden gar nicht oder erst nach Monaten wieder erstattet. Wie können sich die Betroffenen wehren?
Es werden offensichtlich Fake-Flüge angeboten, die nicht durch Maschinen und Personal gedeckt sind und die dann wieder gestrichen werden. Auf diese Weise verschaffen sich die Fluggesellschaften faktisch einen zinslosen Kredit. Eine vierköpfige Familie, die monatelang auf die Entschädigung warten muss, kann es sich aber oft gar nicht leisten, aus eigener Tasche einen Ersatzflug zu finanzieren. Diese Praxis der Vorkasse muss abgeschafft werden, dafür muss die Bundesregierung sorgen.
Krisenzeiten sind auch immer Hoch-Zeiten für Betrüger: In jüngerer Zeit mehren sich wieder Berichte über Enkeltricks, bei denen ältere Menschen per WhatsApp-Nachrichten oder übers Telefon angeblich von ihren "Enkeln" kontaktiert und abgezockt werden.
Wir hören in den Beratungen leider immer wieder von solchen Fällen. Betroffene sollten unverzüglich ihre Bank informieren, die Nachrichten per Screenshot sicherstellen und Strafanzeige bei der Polizei erstatten. Die Polizei ist bei diesen Straftaten der richtige Ansprechpartner.
Das Interview erschien am 07. August 2022 auf t-online.de.