Ärzt:innen dürfen nicht damit werben, Patient:innen ohne persönliche Inaugenscheinnahme oder wenigstens der Durchführung einer Telefon- oder Videosprechstunde Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen auszustellen.

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Das OLG Hamburg hatte über den nachfolgenden Sachverhalt zu entscheiden:
Der Beklagte Privatarzt warb auf seiner Website dafür, schnell und unkompliziert Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bei „Erkältung“ und „Regelschmerzen“ auszustellen. Auf der Website des Beklagten fanden sich u.a. die folgenden Slogans: „Krankschreibung ohne Arztbesuch“, „100% gültiger AU-Schein“ und „100% Akzeptanz bei Arbeitgebern und Krankenkassen“. Auf der Homepage des Beklagten konnten Patient:innen sodann vorgegebene Fragen in Form eines Formulars beantworten und nach eigenem Ermessen die gewünschte Dauer der Krankschreibung von 1-3 Tagen wählen. Eine weitere Anamnese durch den Arzt in Form einer persönlichen Inaugenscheinnahme, eines Videochats oder eines Telefonats war nicht vorgesehen. Das LG Hamburg hatte den Beklagten in erster Instanz verurteilt, es zu unterlassen, für diese Praxis zu werben.
Das OLG Hamburg bestätigt das Urteil der Vorinstanz. Die Werbung sei aus mehreren Gründen unzulässig. Zum einen verstoße die Methode einer derartigen Ferndiagnose gegen die rechtlichen Vorgaben der Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie (AU-RL) des Gemeinsamen Bundesausschusses (GB-A). Nach § 4 Abs. 5 AU-RL sei es zwar zulässig, die Arbeitsunfähigkeit mittelbar persönlich im Wege einer Videosprechstunde festzustellen. Dies gelte jedoch nur, wenn die Patient:innen dem ärztlichen Personal bereits aufgrund früherer Behandlung unmittelbar persönlich bekannt sei. Der Beklagte habe weder darlegen können alle ca. 70.000 Patient:innen gekannt zu haben, denen eine Bescheinigung auf diesem Wege ausgestellt wurde, noch habe er überhaupt Videosprechstunden durchgeführt. Die in Rede stehende Geschäftsmethode des Beklagten sei ebensowenig von der Covid-19-bedingten Ausnahmeregelung des § 8 AU-RL gedeckt. Diese erlaubt bei Erkältungssymptomen eine telefonische Feststellung der Arbeitsunfähigkeit. Der Beklagte hatte jedoch nicht einmal telefonische Anamnesen durchgeführt. Zum anderen sei die Werbung für derartige Ferndiagnosen gem. § 9 HWG ohnehin verboten. Schließlich sei auch die Werbeaussage bezüglich der Akzeptanz bei Arbeitgebenden und Krankenkassen unzutreffend, da aufgrund der Mangelhaftigkeit dieser AU-Bescheinigungen mit einer Zurückweisung durch Arbeitgebende und Krankenkassen bei Kenntniserlangung zu rechnen sei.
Hinweis: An diesem Verfahren war der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) nicht beteiligt. Gerne informiert Sie der vzbv alle vier bis sechs Wochen mit einem kostenlosen Newsletter über neue Urteile zum Verbraucherrecht.
Datum der Urteilsverkündung: 29.09.2021
Aktenzeichen: 3 U 148/20
Gericht: OLG Hamburg