Bei einer Verschlimmerung von - durch einen Unfall an Bord verursachten - Verletzungen durch unzureichende medizinische Erstversorgung gilt die verkürzte Klagefrist von zwei Jahren aus dem Übereinkommen von Montreal.
Der Entscheidung des EuGH liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Während eines Austrian Airlines Fluges am 18. Dezember 2016 von Tel Aviv nach Wien fällt eine Kanne mit heißem Kaffee von einem Servierwagen und verbrüht einen Reisenden. Er erhält an Bord medizinische Erstversorgung. Am 31. Mai 2019 erhebt der Fluggast beim Handelsgericht Wien Klage gegen Austrian Airlines auf Zahlung von 10.196 Euro Schadensersatz und auf Feststellung der Haftung für alle künftigen Schäden infolge der Verschlimmerung seiner Verbrühungen durch die unzureichende medizinische Erstversorgung an Bord des Flugzeugs. Er macht geltend, dass Austrian Airlines nicht nur für die Unachtsamkeit ihres Personals, die zum Umfallen der Kaffeekanne geführt habe, sondern auch für die unzureichende medizinische Erstversorgung der erlittenen Verbrühungen an Bord des Flugzeugs verantwortlich sei. Austrian Airlines erwidert, dass die erlittenen Verletzungen ordnungsgemäß versorgt worden seien. Zudem sei das Übereinkommen von Montreal im vorliegenden Fall anwendbar und damit gelte die darin vorgesehene Frist von zwei Jahren für die Erhebung der Schadensersatzklage. Der Kläger ist der Ansicht, dass die medizinische Erstversorgung an Bord nicht unter den Begriff des „Unfalls“ im Sinne des Übereinkommens falle, sodass das Übereinkommen vorliegend nicht anwendbar sei und die Dreijahresfrist des nationalen österreichischen Rechts gelte. Das österreichische Gericht setzt das Verfahren aus und legt dem EuGH die Frage, ob die unzureichende medizinische Erstversorgung eines Reisenden an Bord eines Flugzeugs, die zu einer Verschlimmerung der durch einen Unfall verursachten Verletzung geführt hat, als Teil des Unfalls anzusehen sei.
Der Gerichtshof sieht einen innerlich zusammenhängenden Vorgang ohne räumlich-zeitliche Zäsur als einen einheitlichen Unfall im Sinne des Übereinkommens von Montreal. Ein Schadenseintritt könne nicht immer auf ein isoliertes Ereignis zurückgeführt werden, wenn dieser Schaden sich als Folge eines Bündels von Ereignissen darstelle, die sich gegenseitig bedingten. In Anbetracht des räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem Umfallen der Kaffeekanne und der medizinischen Erstversorgung des dadurch verletzten Reisenden bestehe ein unbestreitbarer Kausalzusammenhang zwischen den beiden Ereignissen. Damit wäre die Zweijahresfrist des Übereinkommens von Montreal anwendbar.
Hinweis: An diesem Verfahren war der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) nicht beteiligt. Gerne informiert Sie der vzbv alle vier bis sechs Wochen mit einem kostenlosen Newsletter über neue Urteile zum Verbraucherrecht.
Datum der Urteilsverkündung: 06.07.2023
Aktenzeichen: C-510/21
Gericht: EuGH