Datum: 02.02.2023

Zur Erstattung von Kosten, die sich als medizinisch nicht notwendig erweisen, durch die PKV

Urteil des OLG Karlsruhe vom 02.02.2023 (12 U 194/22)

In Ausnahmefällen kann in der privaten Krankenversicherung der Versicherer nach Treu und Glauben aufgrund der Vertrauenshaftung zum Ersatz von Behandlungskosten verpflichtet sein, obwohl sich diese als medizinisch nicht notwendig erweisen. Eine vorbehaltlose Kostenerstattung über einen längeren Zeitraum ist dabei geeignet, bei Versicherungsnehmer:innen das berechtigte Vertrauen darauf zu wecken, dass auch in Zukunft eine Erstattung erfolgen werde.

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Quelle: Gina Sanders - Fotolia.com

Der Entscheidung des OLG Karlsruhe liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

Die Klägerin verlangt von ihrer beklagten privaten Krankenversicherung die Erstattung von Heilbehandlungskosten. Sie erleidet im Jahr 2009 einen Herzinfarkt. Von 2013 bis 2015 befindet sie sich in Behandlung bei dem Facharzt für Allgemeinmedizin, Naturheilverfahren und Umweltmedizin Dr. W. Sie leidet in diesem Zeitraum u.a. an einer Hornhautverkrümmung, latentem Schielen und einem beginnenden grauen Star bei zunehmender Sehverschlechterung; ferner unter diverse muskuläre Leiden und erheblicher Schmerzsymptomatik. Zudem besteht eine globale motorische Aphasie (Sprachstörung), eine Kontrastmittelallergie und intermittierendes Vorhofflimmern. Dr. W führt bei der Klägerin u.a. eine Photonentherapie und eine hyperbare Ozontherapie durch. Die beklagte PKV zahlt die Kosten hierfür, nimmt aber jeweils geringe Abzüge vor. Im März 2015 kündigt die Versicherung der Klägerin gegenüber eine Prüfung des Leistungsanspruchs an und fordert einen ausführlichen Befund- und Behandlungsbericht sowie eine unterschriebene Einverständniserklärung an. Von Februar bis Juli 2015 stellt Dr. W der Klägerin über 9.000 Euro in Rechnung. Die Beklagte erstattet hiervon knapp 1.700 Euro. Wegen der übrigen Kosten lehnt sie die Kostenerstattung ab. Die Klägerin macht geltend, sämtliche abgelehnten Leistungen seien medizinisch notwendig gewesen und die Kosten daher von der Beklagten zu erstatten. Zudem verhalte sich die Beklagte treuwidrig, nachdem sie die streitgegenständliche Behandlung zuvor unbeanstandet erstattet und die streitgegenständlichen Rechnungen erst nach siebenmonatiger Prüfungszeit abgelehnt habe. Das Landgericht verurteilt die Beklagte, 4.234,78 Euro an die Klägerin zu zahlen. Mit der Berufung begehrt die beklagte PKV die vollständige Abweisung der Klage.

Die Berufung hat keinen Erfolg. Zu Recht habe das Landgericht erkannt, dass die Beklagte nach Treu und Glauben zum Ersatz der bis zum 23. März 2015 angefallenen Behandlungskosten verpflichtet sei. Insoweit gelte im Ausgangspunkt, dass die Frage der Leistungspflicht für jede medizinische Behandlung dem Grunde und der Höhe nach neu zu prüfen sei und eine frühere Kostenerstattung grundsätzlich keine Bindungswirkung entfalte. Gleichwohl komme ausnahmsweise eine Vertrauenshaftung des Versicherers in Betracht. Entscheidend seien dabei die Umstände des Einzelfalles. Mit ihrem Erstattungsverhalten über einen Zeitraum von anderthalb Jahren in erheblichem Umfang, habe die Beklagte ein schutzwürdiges Vertrauen bei der Klägerin hervorgerufen. Ein besonderes und letztlich das zugunsten der Klägerin ausschlaggebende Gewicht habe der Umstand, dass die Beklagte die in den Jahren 2013 und 2014 eingereichten Rechnungen nicht in vollem Umfang erstattet, sondern - wenn auch geringfügige - Abzüge vorgenommen habe. Das ließe aus der Perspektive der Klägerin erkennen, dass die Beklagte die Frage der medizinischen Notwendigkeit nicht etwa übersehen oder aus wirtschaftlichen Erwägungen auf die Überprüfung verzichtet, sondern die Rechnungen geprüft und im Umfang der Erstattung gebilligt habe.

 

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Datum der Urteilsverkündung: 02.02.2023
Aktenzeichen: 12 U 194/22
Gericht: OLG Karlsruhe

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