Datum: 29.06.2021

Verbraucherrechte dürfen nicht nur auf dem Papier stehen

Interview mit Jutta Gurkmann und Philipp von Bremen, Geschäftsbereichsleitung Vebraucherpolitik des vzbv

Jutta Gurkmann und Philipp von Bremen

Quelle: vzbv / Gert Baumbach

Seit über einem Jahr bestimmt das Corona-Virus den Alltag. Wie hart hat die Pandemie Verbraucher getroffen?

Philipp von Bremen: Verbraucher sind auf ganz unterschiedliche Weise von der Corona-Pandemie betroffen. Viele leiden unter den unmittelbaren Folgen und müssen etwa mit Ausnahmesituationen wie Home-Office bei gleichzeitiger Kinderbetreuung umgehen. Für andere sind die Besuchsverbote in Pflegeheimen und Krankenhäuser eine große Belastung. Leider haben Verbraucher auch immer wieder mit Unternehmen zu kämpfen, etwa wenn es um die Erstattung von abgesagten Reisen oder Flügen geht. Von der Politik kam in dieser Hinsicht wenig Unterstützung. Die Regelungen zu Urlaubsreisen wirkten oft planlos und wenig weitsichtig. Immerhin hat die Bundesregierung nach den Protesten auch des vzbv wenigstens die Zwangsgutscheine für abgesagte Pauschalreisen abgewendet. Verbraucher können sich weiterhin den vollen Reisepreis erstatten lassen und müssen keine Gutscheine akzeptieren.

Macht sich die Pandemie auch im Geldbeutel der Verbraucher bemerkbar?

Jutta Gurkmann: Durch Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit oder höhere Ausgaben für Medizin- und Schutzartikel haben viele Verbraucher weniger Geld auf dem Konto als vor der Corona-Krise. Im Juni 2020 gab in einer Umfrage des vzbv bereits jeder Fünfte an, in der Pandemie finanzielle Einbußen erlitten zu haben. Auf der anderen Seite bleiben aber viele Abbuchungen und Daueraufträge bestehen. Das ist besonders ärgerlich, wenn Verbraucher durch lange Vertragslaufzeiten, automatische Verlängerungen und Probleme bei der Kündigung weiter gebunden sind. Hier zeigt sich, wie sehr fehlende Regelungen die Lage für Verbraucher bis hin zu existenziellen Problemen verschärfen können.

Mit der Senkung der Mehrwertsteuer wollte die Bundesregierung Verbraucher finanziell entlasten. Hat das geklappt?

Philipp von Bremen: Die Senkung der Mehrwertsteuer war bestenfalls gut gemeint, weil es Unternehmen selbst überlassen wurde, ob sie die Senkung an Verbraucher weitergeben oder nicht. Rückblickend hat sich gezeigt, dass einige Unternehmen das Geld lieber in ihre eigene Tasche gesteckt haben, statt ihre Preise zu senken. Es gäbe zielgenauere Maßnahmen, um Verbraucher wirklich zu unterstützen.

An welche Maßnahmen denken Sie da?

Philipp von Bremen: Sinnvoll ist der Kinderbonus. Damit können Familien zielgenau entlastet werden. Zudem sollte das Moratorium für Kredite und Energiesperren verlängert werden. Um nicht in eine finanzielle Schieflage zu geraten, müssen Verbraucher mit Zahlungsschwierigkeiten die Möglichkeit erhalten, ohne zusätzliche Kosten und Zinsen ihre Kredite zu stunden und die Zahlung von Strom- und Gasrechnungen auszusetzen. Eine weitere Maßnahme, die sich direkt im Geldbeutel der Verbraucher bemerkbar machen würde, wäre eine deutliche Senkung der Stromkosten.

Jutta Gurkmann

Quelle: Gert Baumbach - vzbv

Jutta Gurkmann
Geschäftsbereichsleiterin Verbraucherpolitik des vzbv

Die Bundesregierung hatte bei der Krisenbewältigung bislang vor allem die Wirtschaft im Blick. Doch ohne starke Verbraucher, die zuversichtlich in die Zukunft blicken, wird es auch keine starke Wirtschaft geben.

Was könnte die Politik darüber hinaus tun, um Verbraucher in der Corona-Krise zu stärken?

Jutta Gurkmann: Die Bundesregierung hatte bei der Krisenbewältigung bislang vor allem die Wirtschaft im Blick. Doch ohne starke Verbraucher, die zuversichtlich in die Zukunft blicken, wird es auch keine starke Wirtschaft geben. Unternehmensinteressen dürfen von der Politik daher nicht höher gewichtet werden als die der Verbraucher. Zudem ist es wichtig, dass Verbraucherrechte nicht zum Kollateralschaden von Krisengesetzgebung werden. Die Rechte von Verbrauchern dürfen nicht nur auf dem Papier stehen, sondern müssen auch konsequent durchgesetzt werden. Dafür muss die Politik die richtigen Rahmenbedingungen schaffen.

Sie haben einen Rettungsschirm für Verbraucher vorgeschlagen. Was meinen Sie damit konkret?

Philipp von Bremen: Nachdem die Bundesregierung mitunter großzügige Hilfspakete für Unternehmen geschnürt hat, ist es nun an der Zeit, Verbraucher nachhaltig zu stärken. Wir schlagen dafür einen Verbraucherrettungsschirm vor. Er kostet den Bund keine Milliarden, führt aber zu spürbaren Verbesserungen im Leben der Verbraucher. Ein wichtiger Teil des Rettungsschirms ist die deutliche Beschränkung der Vorkassepraxis im Reisebereich. Aktuell müssen Flüge und Pauschalreisen fast immer vorab bezahlt werden. Das kann für Verbraucher ein erhebliches finanzielles Risiko bedeuten: Findet die Reise oder der Flug nicht statt, laufen Reisende oft über Monate ihrem Geld hinterher. Damit muss Schluss gemacht werden.

Jutta Gurkmann: Unser Rettungsschirm sieht außerdem vor, dass Verbraucher vor Kostenfallen wie untergeschobenen Verträgen geschützt werden. Die Verbraucherzentralen erhalten immer wieder Beschwerden von Verbrauchern, denen am Telefon oder im Shop Verträge untergeschoben wurden und die sich nun mit Forderungen für Leistungen konfrontiert sehen, die sie nicht haben wollen. Mit einfachen Mitteln könnte hier schon viel erreicht werden, etwa durch verkürzte Vertragslaufzeiten und -verlängerungen oder ein Widerrufsrecht für im Laden abgeschlossene langfristige Verträge. Auch überhöhten Inkassoforderungen muss die Politik endlich den Kampf ansagen. Unverhältnismäßig hohe Gebühren führen dazu, dass aus einem Ausgangsbetrag von wenigen Euro schnell eine Gesamtforderung von mehreren Hundert Euro werden kann. Um Verbraucher vor Abzocke zu schützen, müssen diese Gebühren gesenkt und gesetzlich begrenzt werden.

Wo besteht darüber hinaus Handlungsbedarf?

Jutta Gurkmann: Verbraucher erledigen ihre Einkäufe immer häufiger online. Die Corona-Pandemie hat diesen Trend noch verstärkt. Doch mit jedem Klick wächst die Marktmacht der Internetgiganten. Das führt dazu, dass große Konzerne zunehmend den Zugang zu Inhalten und Diensten kontrollieren und Verbrauchern unfaire Bedingungen abverlangen können. Hier gilt es gegenzusteuern. Wir fordern, die Marktmacht von digitalen Konzernen zu begrenzen und dafür das Bundeskartellamt zu stärken. Denn von mehr Wettbewerb profitieren letztendlich alle: Verbraucher genauso wie Unternehmen.

Das Interview wurde für den Jahresbericht 2020 des vzbv geführt.

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