Datum: 29.06.2021

Die Bewältigung der Corona-Krise war und wird ein gewaltiger Kraftakt

Interview mit Klaus Müller, Vorstand des vzbv

Klaus Müller im Interview. Foto: Gert Baumbach - vzbv

Quelle: Gert Baumbach - vzbv

Herr Müller, ein turbulentes Jahr liegt hinter uns. Wie haben Sie die Auswirkungen der Pandemie auf den vzbv und persönlich erlebt?

Die Corona-Pandemie hat uns alle gefordert: persönlich und beruflich. Wir haben wie alle umgedacht, den vzbv mit großer Kraftanstrengung digitalisiert und unser Bestes gegeben, um für die Verbraucherthemen mit ganzer Kraft zu arbeiten. Ich weiß aus internen Umfragen, dass viele Kolleginnen und Kollegen den persönlichen Kontakt und Austausch vermissen. Das geht mir auch so. Der vzbv und die Verbraucherzentralen waren während des vergangenen Jahres gefragt wie nie. Verbraucherrechte standen unter Druck, ob beim Thema Reisen, stornierten und nicht zurückbezahlten Flügen oder den Zwangsgutscheinen für abgesagte Veranstaltungen. Der vzbv hat sich in Gesprächen und auch gerichtlich für die Rechte der Verbraucher eingesetzt. Mein Dank gilt den Verbraucherzentralen, Verbraucherverbänden, unseren Gremien, der Politik und natürlich vor allem den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich unter schwierigen Bedingungen so schnell auf die neue Situation eingestellt und viel für den Verbraucherschutz erreicht haben.

Wie fällt Ihre Bilanz der Corona-Krisenpolitik aus?

Die Bundesregierung hat zu Beginn vieles schnell und gut gelöst. Für Verbraucherinnen und Verbraucher gab es jedoch zu wenig Unterstützung. Für Unternehmen und Branchen wurden großzügige Hilfspakete geschnürt. Für viele Verbraucher ist jedoch noch nicht klar, wie sie wieder rauskommen aus der Krise. Für richtig viel Frust sorgte die Regelung zu Zwangsgutscheinen wegen ausgefallener Veranstaltungen oder abgesagter Reisen. Hunderttausende Kunden mussten monatelang auf die Erstattung ihrer Vorauszahlungen warten. Gerade mal neun Prozent der betroffenen Verbraucher haben eine Erstattung binnen der sieben Tage erhalten, die das Gesetz vorschreibt.

Die Bewältigung der Pandemie wird sicher den Bundestagswahlkampf prägen. Was sind Ihre Erwartungen an die künftige Bundesregierung?

Die Bewältigung der Corona-Krise war und wird ein gewaltiger Kraftakt. Egal, welche Parteien im Herbst die Bundesregierung stellen mögen: Wir fordern, dass die Verbraucher im Mittelpunkt ihrer Entscheidungen stehen sollen. Wenn das gelänge, läge in der Krise auch die Chance, gestärkt aus ihr hervorzugehen. Das ist doch klar: Ohne starke Verbraucher wird es keine starke Wirtschaft geben. Starker Verbraucherschutz sorgt dafür, dass sich Verbraucher sicher im Konsumalltag bewegen, er schafft Vertrauen und Zuversicht.

Manche Politiker und Unternehmer betrachten Verbraucherschutz wohl eher als Bremsklotz für eine wirtschaftliche Erholung.

Das Gegenteil ist der Fall. Ein gutes Beispiel dafür sind die Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit oder Digitalisierung. Schnelles Internet gehört doch inzwischen zur notwendigen alltäglichen Grundausstattung dazu, so wie die Wasserversorgung oder der Stromanschluss. Umso ärgerlicher ist es, dass laut Hochrechnungen des Statistischen Bundesamtes im letzten Jahr immer noch über drei Millionen Haushalte keinen mobilen oder festen Internetanschluss hatten. Wir brauchen daher eine angemessen schnelle und flächendeckende Breitband-Grundversorgung, die von Verbrauchern zügig eingefordert werden kann.

Und beim Thema Klimaschutz und Nachhaltigkeit?

Hier muss die nächste Bundesregierung Tempo machen. Das Ausmaß des Artensterbens hat inzwischen solche Ausmaße erreicht wie zuletzt zu Zeiten der Dinosaurier. Damals war vermutlich ein Asteroid die Ursache. Diesmal ist es der Mensch. Wir müssen umsteuern und das heißt ganz konkret: Die Politik muss Abschied nehmen von veralteten Technologien und Denkmustern. Dazu gehört auch, dass sie die Verbraucher bei der nötigen Energie- oder Verkehrswende endlich ins Zentrum rücken muss und sie als „Prosumenten“ aktiv einbezieht. Reparierbarkeit und längere Gewährleistungsfristen sind notwendig. Auch ein starker öffentlicher Nahverkehr oder neue Mobilitätsdienstleistungen wären wichtige Schritte, um die Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor zu senken. Die nächste Bundesregierung muss dafür sorgen, dass alle Haushalte in Deutschland wichtige Bedarfseinrichtungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder innovativen Mobilitätsangeboten erreichen. Das würde den Alltag der Menschen verbessern und den Klimaschutz vorantreiben.

Portrait vzbv Vorstand Klaus-Müller, Copyright: Gert Baumbach
Klaus Müller
Vorstand des vzbv

Die nächste Bundesregierung sollte die Verbraucherbildung von Kindern und Jugendlichen vorantreiben und bundesweit im Schulsystem ermöglichen – praxisnah und frei von wirtschaftlicher Beeinflussung durch Dritte.

Der Klimaschutz bewegt viele junge Menschen. Gibt es weitere Punkte, die die Politik mit Blick auf diese Bevölkerungsgruppe angehen müsste?

Definitiv. Die nächste Bundesregierung sollte zum Beispiel die Verbraucherbildung von Kindern und Jugendlichen vorantreiben und bundesweit im Schulsystem ermöglichen – praxisnah und frei von wirtschaftlicher Beeinflussung durch Dritte. Wir glauben, dass es wichtig ist, dass Schülerinnen und Schüler lernen, wie sie Fake-Shops erkennen, mit Geld umgehen oder sich vor Schulden schützen können. Dazu gehört auch zu verstehen, was eine gesunde Ernährung oder klimaverträglichen Konsum ausmacht und wie wichtig Datenschutz und -sicherheit sind.

Am anderen Ende der Alterspyramide machen sich Verbraucher Sorgen um das Abrutschen in Altersarmut. Was kann die Politik tun, um die Altersvorsorge wieder zu stabilisieren?

Die Riester-Rente braucht einen Neustart. Viele Riester-Produkte sind zu teuer, zu unübersichtlich und zu ineffizient. Es profitieren vor allem Versicherer und Finanzvertriebe. Würde der Staat nicht Milliarden aus Steuermitteln hinzuschießen, käme für Verbraucher noch weniger dabei rum. Mit unserem Modell der Extrarente haben wir aufgezeigt, wie die private Altersvorsorge neu aufgestellt werden könnte. Zur Stärkung der dritten Säule brauchen wir ein staatlich organisiertes Standardprodukt wie etwa in Schweden, das breit gestreut in Aktien anlegt. Dies würde sich für Verbraucher lohnen. Im vergangenen Jahr hat der vzbv im Dieselprozess einen Vergleich mit VW geschlossen.

Welches Fazit ziehen Sie?

Unser Vergleich mit VW hat dazu geführt, dass knapp eine Viertelmillion Menschen eine Entschädigung von insgesamt einer Dreiviertelmilliarde Euro bekam. Ein beachtlicher Erfolg der neu eingeführten Musterfeststellungsklage und unserer Rechtsdurchsetzung. Aber das Instrument hat auch Schwächen, denn normalerweise müssen Verbraucher ihre Entschädigung ja noch individuell einklagen; davor hat sie der Vergleich in Sachen VW bewahrt. Umso wichtiger, dass die Bundesregierung nun die neue EU-Verbandsklage zügig in deutsches Recht überführt. Mit dieser neuen Sammelklage sollen Geschädigte tatsächlich auch finanzielle Ansprüche durchsetzen können. Das wäre ein riesiger Fortschritt. Auch hierzu haben wir einen guten Vorschlag gemacht. Nun ist die Politik am Zug, den Verbraucheralltag auch in diesem Punkt leichter und gerechter zu gestalten.

Das Interview wurde für den Jahresbericht 2020 des vzbv geführt.

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