Datum: 09.02.2022

Zur Neubemessung der Invalidität bei der Unfallversicherung

Urteil des Saarländischen OLG vom 09.02.2022 (5 U 53/21)

Ein Unfallversicherer muss sich die Neubemessung der Invalidität nicht vorbehalten haben, wenn er bei später erkannter Unrichtigkeit der Erstbemessung den bereits regulierten Betrag (teilweise) zurückverlangen möchte.

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Quelle: Gina Sanders - Fotolia.com

Der Entscheidung des Saarländischen Oberlandesgerichts liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Beklagte unterhält bei der Klägerin einen Unfallversicherungsvertrag. Die versicherte Grundsumme für den Fall der Invalidität beträgt 115.040,67 Euro. Dem Vertrag liegen u.a. Allgemeine Unfallversicherungsbedingungen (im Folgenden: AUB 94) sowie besondere Bedingungen für die Unfallversicherung mit progressiver Invaliditätsstaffel 225 Prozent zugrunde. § 11 AUB 94 enthält folgende Regelungen:

 

„I. Sobald dem Versicherer die Unterlagen zugegangen sind, die der Versicherungsnehmer zum Nachweis des Unfallherganges und der Unfallfolgen sowie über den Abschluss des für die Bemessung der Invalidität notwendigen Heilverfahrens beizubringen hat, ist der Versicherer verpflichtet, innerhalb eines Monats – beim Invaliditätsanspruch innerhalb von drei Monaten – zu erklären, ob und in welcher Höhe er einen Anspruch anerkennt.

[…]

IV. Versicherungsnehmer und Versicherer sind berechtigt, den Grad der Invalidität jährlich, längstens bis zu drei Jahren nach Eintritt des Unfalles, erneut ärztlich bemessen zu lassen. Dieses Recht muss seitens des Versicherers mit der Abgabe seiner Erklärung entsprechend I., seitens des Versicherungsnehmers innerhalb eines Monats ab Zugang dieser Erklärung ausgeübt werden. Ergibt die endgültige Bemessung eine höhere Invaliditätsleistung, als sie der Versicherer bereits erbracht hat, so ist der Mehrbetrag mit 5 Prozent jährlich zu verzinsen.“

 

Der Beklagte zieht sich am 14. Februar 2015 infolge eines Treppensturzes eine Oberschenkelhalsfraktur zu. Das in der Folge von der Klägerin in Auftrag gegebene ärztliche Gutachten ergibt eine unfallbedingte Invalidität von 3/10 Beinwert. Am 10. Mai 2016 rechnet die Klägerin ausgehend von einem Invaliditätsgrad von 21 Prozent eine Invaliditätsleistung in Höhe von 24.159,00 Euro ab und zahlt diesen Betrag aus. Im Abrechnungsschreiben teilt die Klägerin mit, dass sowohl sie selbst als auch der Beklagte berechtigt seien, den Grad der Invalidität bis zu 3 Jahre lang jährlich erneut ärztlich bemessen zu lassen. Ergebe die Bemessung eine höhere Invaliditätsleistung als erbracht, werde der Mehrbetrag ausgezahlt. Ergebe sie eine niedrigere Leistung, fordere sie den zu viel gezahlten Betrag zurück. Im Februar 2017 macht der Beklagte sein Recht auf Neubemessung geltend. Die gutachterliche ärztliche Stellungnahme ergibt nunmehr eine unfallbedingte Invalidität von nur 2/10 Beinwert. Daraufhin rechnet die Klägerin die Invaliditätsleistung ausgehend von einem Invaliditätsgrad von 14 Prozent neu mit 16.105,74 Euro ab und fordert den Beklagten zur Rückzahlung des Differenzbetrags von 8.053,26 Euro auf, was dieser ablehnt. Das Landgericht gibt der Klage in erster Instanz in voller Höhe statt. Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, mit welcher er die Abweisung der Klage erstrebt.

 

Die Berufung hat keinen Erfolg. Einem Rückforderungsanspruch der Klägerin stehe nicht der Wortlaut des Schreibens vom 10. Mai 2016 entgegen. Zwar habe sie gemäß § 11 I. AUB 94 binnen der dort bestimmten Frist zu erklären, ob und in welcher Höhe sie einen Anspruch des Beklagten auf Invaliditätsleistung anerkenne. Trotz der Verwendung des Begriffs „anerkennen“, stelle die Erklärung des Unfallversicherers, ob und in welcher Höhe er einen Anspruch anerkennt, nur eine einseitige Meinungsäußerung des Versicherers und Information an den Anspruchsberechtigten dar. Ihr komme keine rechtsgeschäftliche, schuldbegründende oder schuldabändernde Regelung zu. Rechtsgrund der Invaliditätsleistung sei nicht die Erklärung des Unfallversicherers, dass er einen Anspruch in einer bestimmten Höhe anerkenne, sondern weiterhin der Versicherungsvertrag. Der Rückforderungsanspruch der Klägerin hänge auch nicht davon ab, ob die Klägerin sich das Recht auf Neubemessung der Invalidität gemäß § 11 IV. AUB 94 vorbehalten habe. Auf die Frage, ob eine Neubemessung der Invalidität auf Verlangen des Versicherungsnehmers ein Recht des Versicherers auf (teilweise) Rückforderung der Invaliditätsleistung begründen kann, komme es vorliegend nicht an. Die Klägerin sei an die Erstbemessung der Invalidität nicht gebunden und könne daher ihren Rückforderungsanspruch darauf stützen, dass bei dem Beklagten von Anfang an tatsächlich ein geringerer Grad der Invalidität vorgelegen habe als sie ihrer Regulierungszahlung zugrunde gelegt habe. Aus den Regelungen in § 11 I. und IV. AUB 94 folge, dass der Versicherer an die Erstbemessung der Invalidität nicht gebunden sei, weshalb die Klägerin auch keine Neubemessung der Invalidität verlangen musste, um den regulierten Betrag teilweise zurückverlangen zu können. Das OLG bestätigt insoweit die Entscheidung des LG.

 

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Datum der Urteilsverkündung: 09.02.2022
Aktenzeichen: 5 U 53/21
Gericht: Saarländisches OLG

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