Datum: 12.10.2022

Zur Leistungskürzung der Kfz-Vollkaskoversicherung bei einem Unfall ohne Fremdbeteiligung mit 0,85 Promille

Urteil des OLG Saarbrücken vom 12.10.2022 (5 U 22/22)

Sind Versicherungsnehmer:innen mit dem versicherten Fahrzeug nachts mit einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 0,85 Promille in der langgezogenen Linkskurve einer Autobahnüberleitung von der Fahrbahn abgekommen und gegen einen Baum geprallt, so kann, wenn deren Darlegungen einen alkoholunabhängigen Geschehensverlauf nicht plausibel zu erklären vermögen, der Nachweis eines alkoholursächlichen schweren Fahrfehlers als geführt anzusehen sein und der Versicherer zur Kürzung der Versicherungsleistung auf null berechtigt sein.

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Quelle: Gina Sanders - Fotolia.com

Der Entscheidung des Oberlandesgerichts Saarbrücken liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin ist Eigentümerin eines Fahrzeugs, welches bei der Beklagten versichert ist. Vereinbart ist eine Selbstbeteiligung von 300 Euro in der Vollkaskoversicherung. In den Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten ist folgendes festgelegt: „Kein Versicherungsschutz besteht für Schäden, die Sie vorsätzlich herbeiführen. Bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Schadens sind wir berechtigt, unsere Leistung in einem der Schwere Ihres Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen, allerdings nur, soweit es sich […] um die Herbeiführung des Versicherungsfalls infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel handelt.“ Die Klägerin befährt am 28. September 2019 gegen 04:00 Uhr morgens mit ihrem Fahrzeug die Autobahn. Das Fahrzeug kommt ins Rutschen, gerät über den Grünstreifen und kollidiert dort mit einem Baum, wodurch das Fahrzeug erheblich beschädigt wird. Zum Unfallzeitpunkt ist es dunkel und die Fahrbahn aufgrund von Regen nass. Bei der Klägerin wird zum Entnahmezeitpunkt um 07:37 eine Blutalkoholkonzentration von 0,85 Promille festgestellt. An ihrem Fahrzeug entsteht ein Schaden in Höhe von 11.970 Euro. Sie fordert von ihrer Versicherung, abzüglich der 300 Euro Selbstbeteiligung, die Regulierung des Betrages in Höhe von 11.670 Euro. Diese lehnt jedwede Regulierung ab. Die Klägerin behauptet, sie habe, da ein anderes Fahrzeug vor ihr grundlos eine starke Bremsung vorgenommen habe, eine Gefahrenbremsung vornehmen müssen. Dabei sei ihr Fahrzeug ins Rutschen gekommen. Der Unfall sei daher nicht auf ihre Alkoholisierung zurückzuführen, sondern hätte auch nüchternen Straßenverkehrsteilnehmer:innen passieren können. Anzeichen einer Alkoholisierung seien nicht zu erkennen, insbesondere sei am Unfallort eine normale Unterhaltung durch die Polizei mit der Klägerin möglich gewesen. Sie habe lediglich aufgrund des Unfalls unter Schock gestanden und daher zu weinen begonnen und an Atemnot und Panik gelitten. Dem tritt die Versicherung entgegen. Der Unfall sei auf überhöhte Geschwindigkeit und Alkoholisierung zurückzuführen. Der klägerseits behauptete Unfallhergang sei eine reine Schutzbehauptung. Das Landgericht gibt der Klage der Versicherten, bis auf einen Teil der Abschleppkosten nahezu vollumfänglich statt. Hiergegen wendet sich die Berufung der beklagten Versicherung.

 

Die Berufung ist erfolgreich. Das Landgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass eine absolute Fahruntüchtigkeit, die bei einer Blutalkoholkonzentration von über 1,1 Promille regelmäßig zu bejahen sei, nicht vorgelegen habe. In Fällen relativer Fahruntüchtigkeit müsse der Versicherer alkoholtypische Ausfallerscheinungen beweisen. Es lägen zwar keine Anhaltspunkte vor, die die Darstellung des Unfallhergangs seitens der Versicherten grundsätzlich in Frage zögen, dennoch sei der Unfallhergang für den Senat nicht erklärbar, ohne dass erhebliche alkoholbedingte Fahrfehler hinzukämen. Gründe, die die Überzeugung von einem alkoholbedingten Fahrfehler der Klägerin erschüttern könnten, liegen bei sachgerechter Beurteilung aller Umstände des vorliegenden Falles nicht vor. Hinweise auf unfallursächliche technische Mängel waren weder behauptet noch ersichtlich. Die allgemeine Möglichkeit, dass auch einer nüchternen Person der Unfall hätte unterlaufen können, reichten zur Erschütterung der Annahme eines alkoholbedingten Fahrfehlers nicht aus. Der objektive Unfallverlauf sei anschaulicher Ausdruck eines alkoholbedingt typischen Fahrfehlers. Das Verschulden der Versicherungsnehmerin sei hierbei so schwerwiegend, dass eine Kürzung der Versicherungsleistung auf null gerechtfertigt sei.

Hinweis: An diesem Verfahren war der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) nicht beteiligt. Gerne informiert Sie der vzbv alle vier bis sechs Wochen mit einem kostenlosen Newsletter über neue Urteile zum Verbraucherrecht.

Datum der Urteilsverkündung: 12.10.2022
Aktenzeichen: 5 U 22/22
Gericht: OLG Saarbrücken

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