Datum: 08.03.2022

Zur dauerhaften Deaktivierung von Nutzerkonten durch die Betreiber sozialer Netzwerke

Urteil des OLG Dresden vom 08.03.2022 (4 U 1050/21)

Die dauerhafte Deaktivierung des Nutzerkontos bei einem sozialen Netzwerk ist auch dann nur nach vorheriger Abmahnung zulässig, wenn zuvor bereits mehrere Beiträge des Nutzers oder der Nutzerin gelöscht worden waren.

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Das OLG Dresden hatte über den nachfolgenden Sachverhalt zu entscheiden:

Der Kläger verlinkte im Zeitraum vom 31. Januar 2019 bis 11. Januar 2020 auf seiner Profilseite insgesamt fünf Videobeiträge, davon drei YouTube-Videos eines Aktivisten der Identitären Bewegung. Alle Beiträge befassen sich in unterstützender Weise mit Aktivitäten der Identitären Bewegung. Die beklagte Betreiberin des sozialen Netzwerks löschte alle Posts unmittelbar nach deren Einstellung. Am 26. Februar 2020 deaktivierte sie zudem dauerhaft den Account des Klägers. Dieser kann seitdem keine eigenen Beiträge mehr einstellen, fremde Beiträge nicht mehr kommentieren, den Messenger-Dienst der Beklagten nicht nutzen und sich nicht mehr über sein Konto auf anderen Internetseiten einloggen. Die Beklagte teilte dem Kläger am 28. Februar 2020 per E-Mail mit, dass sein Konto dauerhaft gesperrt wurde, weil die Gemeinschaftsstandards nicht eingehalten worden seien. Seine auf Wiederherstellung seines Kontos, Unterlassung künftiger Sperren, Datenberichtigung, Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sperrung, weitere Auskunft, Schadensersatz und Freistellung von Rechtsanwaltsgebühren gerichtete Klage, hat das Landgericht mit Ausnahme eines geringfügigen Anteils an den geltend gemachten Anwaltskosten abgewiesen. Der Kläger habe durch die wiederholte Verlinkung von Videos, die den Gemeinschaftsstandards zuwiderliefen, gegen seine Pflichten aus dem Nutzungsvertrag verstoßen. Die Gemeinschaftsstandards der Beklagten seien wirksam. Die Identitäre Bewegung sei als „Hassorganisation“ im Sinne dieser Standards einzustufen. Die Kündigung des Nutzungsverhältnisses sei auch nicht nach § 314 BGB unwirksam. Die Angabe des Kündigungsgrundes oder eine Abmahnung seien nicht erforderlich gewesen, weil der Beklagten die Fortsetzung des Verhältnisses unzumutbar gewesen sei, da der Kläger trotz wiederholter Beitragslöschungen immer wieder ähnliche Beiträge verlinkt habe, was aus Sicht der Beklagten die Prognose gerechtfertigt habe, er werde ein vergleichbares Verhalten immer weiter fortsetzen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers.

Die Berufung des Klägers hat im Wesentlichen Erfolg und führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils. Sowohl die vorübergehende Deaktivierung als auch die dauerhafte Aussetzung oder Kündigung von Konten erforderten in gleicher Weise eine Abwägung der gegenüberstehenden Grundrechte. Dies beinhalte auch die Berücksichtigung verfahrensrechtlicher Sicherungen. Die Netzwerkbetreiber haben vor dem Ergreifen von Sanktionen die ihnen zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts zu ergreifen. Die bloße Unterstützung einer Hassorganisation könne die Kündigung des Unterstützeraccounts grundsätzlich nur dann rechtfertigen, wenn eine zuvor gewährte Abhilfefrist abgelaufen oder Abmahnung erfolglos ausgesprochen wurde. Eine Frist für die Abhilfe sei nur dann entbehrlich, wenn die andere Seite die Erfüllung ihrer Pflichten ernsthaft und endgültig verweigere oder wenn nach Abwägung der Interessen beider Parteien besondere Umstände eine sofortige Kündigung rechtfertigen. Auch eine Abmahnung sei nur unter diesen Voraussetzungen entbehrlich. Die fristlose Kündigung des Nutzungsvertrages sei trotz fehlender Abmahnung dann zulässig, wenn sie nicht auf ein gegen die Nutzungsbestimmungen gestütztes Verhalten, sondern auf eine gegen die grundsätzliche, im Widerspruch zu den Gemeinschaftsstandards stehende politisch-ideologische Ausrichtung des Nutzers und die dadurch hervorgerufene Zerrüttung des Vertragsverhältnisses gestützt werde. Ein solcher Fall liege hier jedoch nicht vor. Die Funktion einer Abmahnung bestehe darin, dem Schuldner die Vertragswidrigkeit seines Verhaltens vor Augen zu führen und ihn vor den Folgen einer Fortsetzung zu warnen. Erst die Missachtung dieser Warnung lasse die weitere Vertragsfortsetzung für den Gläubiger regelmäßig unzumutbar erscheinen. Die Abmahnung habe eine Rüge-, Warn-, und Ankündigungsfunktion und gebe dem Abgemahnten zugleich eine zweite Chance, durch zukünftiges vertragsgerechtes Verhalten eine Kündigung abzuwenden. Nur in Ausnahmefällen sei diese erlässlich. Ein solcher Fall liege nicht vor.

Hinweis: An diesem Verfahren war der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) nicht beteiligt. Gerne informiert Sie der vzbv alle vier bis sechs Wochen mit einem kostenlosen Newsletter über neue Urteile zum Verbraucherrecht.

Datum der Urteilsverkündung: 08.03.2022
Aktenzeichen: 4 U 1050/21
Gericht: OLG Dresden

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