Datum: 26.01.2018

Rede: Rezepte gegen den Stillstand in der Lebensmittelpolitik

Klaus Müller, Vorstand des vzbv beim verbraucherpolitischen Forum auf der Internationalen Grünen Woche 2018

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Quelle: Rainer Christian Kurzeder - vzbv

Sehr geehrte Damen und Herren,

Lieber Herr Bundesminister Schmidt,

lieber Herr Minister Jost,

liebe Referentinnen und Referenten des heutigen Tages,

ich möchte Sie herzlich begrüßen zu unserem Verbraucherpolitischen Forum.

Ich freue mich, dass Sie unserer Einladung gefolgt sind, um mit uns über die verbraucherpolitischen Aufgaben der kommenden Bundesregierung zu diskutieren. Zu Beginn unserer Planungen zum diesjährigen Verbraucherpolitischen Forum waren wir davon ausgegangen, heute bereits eine neue Regierung zu haben und das Programm der neuen Regierung diskutieren zu können.

Die Erwartung hat sich zwar nicht erfüllt, aber heute kann ich sagen, dass wir trotzdem ein fast perfektes Timing haben, um die Themen zu diskutieren, die aus Sicht von Verbraucherinnen und Verbrauchern angegangen werden müssen und die deshalb einen Platz im Koalitionsvertrag verdienen.

Denn ich muss festhalten: Das Sondierungsergebnis ist im Bereich der Lebensmittel- und Ernährungspolitik enttäuschend. Das Wort „Lebensmittel“ taucht lediglich zwei Mal auf, „Ernährung“ nicht einmal. Glücklicherweise kommen die Koalitionsverhandlungen jetzt erst noch. CDU/CSU und SPD haben die Chance noch nachzubessern – und das müssen sie auch.

Gerade in der Lebensmittel- und Ernährungspolitik gibt es dringenden Handlungsbedarf! Und Verbraucher erwarten Lösungen! Das haben wir bereits zu Beginn der Internationalen Grünen Woche, am vergangenen Mittwoch, unsere verbraucherpolitischen Forderungen an die neue Bundesregierung vorgestellt.

Heute wollen wir die Lösungsvorschläge des vzbv diskutieren. Auch wenn Sie alle ganz sicher unser Forderungspapier bereits eingehend studiert haben, möchte ich auf einzelne Forderungen aus den Bereichen der Lebensmittelüberwachung, der Ernährungspolitik und dem Qualitätsmarkt kurz eingehen:

Lassen Sie mich mit der Situation der Lebensmittelüberwachung beginnen: Ihr Sinn und Zweck ist es, Verbraucher vor gesundheitlichen Gefahren zu schützen aber auch wirtschaftlichen Verbraucherschutz zu gewährleisten, indem Verstöße gegen Kennzeichnungspflichten beanstandet werden und Lebensmittelbetrug aufgedeckt wird. Die Herausforderungen wachsen hier ständig.

Bereits im Jahr 2012, also vor sechs Jahren!, hat der Bundesrechnungshof einen Bericht zur Lebensmittelüberwachung vorgelegt und nicht weniger als ihre Neuausrichtung gefordert. Er hat angemahnt ein bundesweit konsistentes Qualitätsmanagement, Leistungsvergleiche und ausreichende Ressourcen sicherzustellen.

Doch bis heute sind uneinheitliche Verwaltungsstrukturen und unklare Zuständigkeiten leider die Realität. Auch der beachtliche Ressourcenmangel besteht nach wie vor. Liebe Frau Tittes, ich darf Ihnen vielleicht schon etwas vorwegnehmen, indem ich aus einem Interview zitiere, in dem Sie sagten, dass aktuell nur knapp 40 Prozent der risikoorientierten Kontrollen durchgeführt werden können.

  • Deshalb fordert der vzbv, dass die Lebensmittelüberwachung so mit Ressourcen ausgestattet wird, dass sie die gesetzlich vorgesehenen Kontrollen auch durchführen kann. Außerdem müssen Kontrollbehörden und ihre Datenbanken besser vernetzt werden. Hier muss der Bund schnellstmöglich einen Fahrplan vorlegen und gemeinsam mit den Bundesländern endlich handeln!

Handlungsbedarf besteht auch bei Lebensmittelwarnungen und der Kommunikation in Krisenfällen. Erinnern wir uns an den Fipronil-Skandal der uns im Sommer begleitet hat. Er ist ein deutliches Beispiel für die Unklarheit und Unsicherheit darüber, wo belastete Eier gefunden wurden, ob Eier gegessen werden dürfen, welche, und wie viele.

Es schlichtweg nicht gelungen, Verbraucher schnell, einheitlich und verständlich zu informieren und Verhaltensempfehlungen zu geben. Es kann nicht sein, dass die föderale Struktur der Lebensmittelüberwachung dazu führt, dass Informationen scheibchenweise veröffentlicht werden und Ermessensspielräume unterschiedlich ausgelegt werden. Das ist keinem Verbraucher zu vermitteln.

  • Das war jetzt ein sehr prominenter Fall. Aber die Bundesregierung muss grundsätzlich – in Abstimmung mit den Bundesländern – die gesetzlichen Grundlagen dafür schaffen, dass Behörden unmittelbar warnen und einheitliche Informationen an Verbraucher gegeben werden.
  • Um das zu gewährleisten, muss vor allem das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit bei bundesweiten Fällen mehr Kompetenzen bekommen und eine bundesweit einheitliche Kommunikation sicherstellen.
  • Außerdem muss die Bundesregierung das Portal lebensmittelwarnung.de grundlegend überholen. Es darf nicht vom Föderalismus her gedacht werden, sondern vom Verbraucher. Denn Verbraucher sollen ja schließlich einfach über Warnungen informiert werden! Vor allem braucht es einen einheitlichen Qualitätsstandard für die Angaben, die zu jedem Produkt zu machen sind, also etwa Fotos und die Chargennummer. Ansonsten ist für Verbraucher nicht erkennbar, ob das Produkt im eigenen Kühlschrank betroffen ist. Dieser Standard muss natürlich auch für Rückrufe von Unternehmen gelten.

Nun zum zweiten Bereich, der Ernährungspolitik: Deutschland wird immer dicker. Mehr als jeder zweite Mann ist heute schon übergewichtig und mehr als jede dritte Frau. Auch bei Kindern sehen wir leider immer stärker diesen bedenklichen Trend. Mit Übergewicht und Adipostias und mit den damit verbundenen Folgekrankheiten sind Kosten verbunden. Viel schlimmer aber: Damit sind auch Einbußen in der Lebensqualität vieler Menschen verbunden.

Was aber tut die Bundesregierung? Sie steht bei möglichen Maßnahmen seit Jahren auf der Bremse. Und das obwohl unsere Umfrage gezeigt hat, dass es eine breite Akzeptanz unter Verbrauchern dafür gibt, dass der Staat informierte und gesunde Entscheidungen im Supermarkt unterstützt. Andere Länder machen es vor – die kommende Bundesregierung muss hier dringend handeln:

  • Eine verständliche Nährwert-Kennzeichnung wird von fast 80 Prozent der Verbraucher unterstützt und ist auf den ersten Blick eine gute Orientierungshilfe auf der Suche nach der gesünderen Alternative.
  • Ein Verbot von an Kinder gerichtetes Marketing ist notwendig, wenn Produkte nicht den Nährwertprofilen der Weltgesundheitsorganisation entsprechen. Denn ich denke wir sind uns alle einig, dass Kinder als verletzliche Verbrauchergruppe einen besonderen Schutz erhalten müssen.
  • Wir brauchen eine Nationale Strategie zur Reduktion von Zucker, Salz und Fett in verarbeiteten Lebensmitteln mit realistischen Reduktionszielen. Bundesminister Schmidt hat hier bereits einen Entwurf vorgelegt. Diesen gilt es nachzubessern und zu konkretisieren. Denn wir sehen: Reformulierung wirkt. In Großbritannien ist etwa durch eine Salzreduktion das Bevölkerungsrisiko für Schlaganfälle und Herzerkrankungen um 40 Prozent gesunken.
  • Vor dem Hintergrund, dass der Nationale Aktionsplan „IN FORM“ Ende 2020 ausläuft, hat die Bundesregierung aber vor allem die Aufgabe, eine echte Ernährungsstrategie zu erarbeiten, die ihren Namen verdient: Ressortübergreifend, mit den bereits genannten Instrumenten als Bestandteilen neben Information und Bildung sowie regelmäßigen Evaluationen. Dann ist Deutschland auf dem richtigen Weg.

Zum Abschluss möchte ich gerne noch auf die oft schwer zu erkennenden Produkteigenschaften eingehen. Verbraucher sind zunehmend an Qualitätseigenschaften von Lebensmitteln interessiert, die nicht auf den ersten Blick – und oft auch nicht auf den zweiten – zu erkennen sind. Prozessqualitäten, wie die regionale Herkunft, die Tierhaltung oder Arbeitsbedingungen in der Produktion von Lebensmitteln.

Dafür sind immer mehr Verbraucher auch bereit, mehr Geld auszugeben. Unsere Befragung belegt das. Gleichzeitig fällt es vielen Verbrauchern noch immer schwer, entsprechende Produkte zu erkennen. Um sicherzustellen, dass Verbraucher erhalten, was ihnen versprochen wird, müssen diese Qualitäten also entsprechend geschützt werden.

  • Deshalb muss die Bundesregierung ein ambitioniertes staatliches Tierwohllabel einführen, das eine transparente und verständliche Kennzeichnung sicherstellt. Jeder Produzent, die oder der mit Tierwohl werben möchte, muss sich zertifizieren lassen. Bundesminister Schmidt hat hier schon wichtige Schritte unternommen, wir warten aber noch immer auf einen konkreten Vorschlag. Sicherlich kann er uns hier gleich zu den nächsten Schritten informieren.
  • Auch für regionale Produkte zahlen Verbraucher gern mehr – deshalb ist das Regionalfenster auszubauen zu einem verpflichtenden Label für alle, die mit Regionalität werben wollen.

Meine Damen und Herren – das sind die drängendsten Aufgaben der kommenden Legislaturperiode aus Sicht des vzbv. Ich freue mich, jetzt mit Bundesminister Schmidt und mit Minister Jost um gemeinsame Lösungen aus Perspektive der Bundes- und der Landespolitik zu ringen.

Und ich freue mich, dass wir mit Frau Tittes, Frau Prof. Buyken und Herrn Prof. Grethe ausgewiesene Experten für jedes Thema an unserer Seite haben.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

Es gilt das gesprochene Wort.

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Rezepte gegen den Stillstand in der Lebensmittelpolitik | Rede von Klaus Müller, Vorstand des vzbv | Jan 2018

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